6 DENTAL TRIBUNE German Edition Nr. 9/2016 · 5. September 2016 International Science ZWP online Newsletter Das wöchentliche Update mit News aus der Dentalwelt und -branche. FINDEN STATT SUCHEN www.zwp-online.info Anmeldeformular Newsletter www.zwp-online.info/newsletter Anmeldeformular Newsletter www.zwp-online.info/newsletter JETZT ANMELDEN ANZEIGE Infos zum Autor Kontakt Priv.-Doz. Dr. med. dent. Peter Rehmann Schlangenzahl 14 35392 Gießen, Deutschland Tel.: +49 641 9946150 Peter.Rehmann@ dentist.med.uni-giessen.de Zahnersatz sollte pflegefähig und einfach handhabbar sein! Prothetische Versorgungen für ältere Menschen sollten leicht hand- habbar, pflegefähig und robust sein. Es ist zu bedenken, dass sowohl der betagte Patient mit den möglicher- weise ihm eigenen Limitationen sei- ner Feinmotorik als auch ggf. die ihn Pflegenden in der Lage sein müssen, mit dem Zahn ersatz zurechtzukom- men. Bei herausnehmbarem Teil ersatz haben z.B. Doppelkronen zweifellos Vorteile. Sie können effi zient und einfach gereinigt werden (Abb. 2). Auf komplizierte Veranke- rungsformen sollte eher verzichtet werden, da sie oft nur schwer pfleg- und handhabbar und oftmals auch nur eingeschränkt erweiterungs fähig sind. Besser reduziert festsitzend ver- sorgen als komplettierend heraus- nehmbar! Festsitzender Zahnersatz wird von den meisten Patienten gegen- über dem herausnehmbaren Ersatz nicht nur als angenehmer empfun- den, sondern er gewährleistet auch in der Regel eine höhere Kaueffizi- enz. Zusätzlich liegt die Haltbarkeit von festsitzendem Ersatz höher als die von Einstückgussprothesen oder auch komplizierten Kombinations- arbeiten.5, 6, 8 Wann immer möglich, empfiehltessichdaher,festsitzenden Zahnersatz zu wählen, auch wenn so eine Komplettierung der Zahnreihe nicht immer erreicht wird (Abb. 3). Im Allgemeinen wird heute eine Anzahl von zehn Antagonistenpaa- ren sowohl kau- als auch organ funktionell als ausreichend angese- hen, wenn der Patient keine Dys- funktionen erkennen lässt. Nach Untersuchungen von Käyser4 wird von den Patienten selbst erst ab einer Verkürzung auf weniger als sechs Antagonistenpaare eine deutliche Reduk tion der Kaufunktion an gegeben. Veränderungen möglichst in kleinen Schritten vornehmen! Notwendige Veränderungen am Zahnersatz oder gar Neuversorgun- gen sollten – wenn möglich – immer in kleinsten Schritten erfolgen, um dem Patienten die Adaptation an die neue Situation zu erleichtern, was bei älteren Menschen in der Regel mehr Zeit beansprucht als bei jün geren. Gerade weil der Adaptation in der Gerostomatologie eine so große Bedeutung zukommt, sei der ihr zu- grunde liegende Mechanismus kurz näher erläutert: Die Adaptation von Zahnersatz ist ein sehr komplexer Vorgang. Adaptation bzw. Gewöh- nung bedeutet in diesem Zusam- menhang die stetige Verminderung der Reaktion des Organismus auf einen kontinuierlichen oder sich ste- tig wiederholenden Stimulus.2 Der Prozess der Gewöhnung ist ein fun- damentaler biologischer Mechanis- mus, der ein Individuum davor be- schützt, stets von neuem auf sich ständig wiederholende und biolo- gisch letztlich irrelevante Reize re- agieren zu müssen. Aus neurophysiologischer Sicht ist es dabei für den Prozess der Ge- wöhnung von großer Bedeutung, dass die Stimuli stets gleich sind und der jeweils vorhergehende Reiz noch im Kurzzeitgedächtnis gespeichert ist.1 So wird auch unmittelbar ver- ständlich, dass die Gewöhnung mit zunehmendem Alter infolge des nachlassenden Kurzzeitgedächtnis- ses immer mehr Zeit in Anspruch nimmt. In Hinblick auf die Adaptation des Zahnersatzes durch den betag- ten Patienten kann dann oftmals beispielsweise eine Aufbauprothese eine geeignete Therapieoption dar- stellen. In Fällen, in denen man des Befundeswegendurchauseinetotale Sofortprothese diskutieren könnte, hat eine Aufbauprothese Vorteile, da sie den Patienten schrittweise an die neue Versorgungssituation heran- führt. Bezüglich der noch vorhande- nen Zähne ist es allerdings erforder- lich, dass diese ihrem Zustand nach einerseits keine aufwendigere Kon struktion mehr erfordern, dass an- dererseits ihre sofortige Extraktion aber nicht zwingend notwendig ist. In diesen Fällen wird eine nicht abgestützte Kunststoffprothese mit einfachen Halteelementen angefer- tigt (Abb. 4). Muss später dann ein Zahn entfernt werden, wird die Pro- these entsprechend erweitert. Auf diese Art und Weise muss sich der Patient immer nur an ein neues Teil- stück derselben Prothese gewöhnen. Die Prothese „wächst“ quasi in Etap- pen auf die Ausdehnung einer tota- len Prothese an, ohne dass jeweils große Umstellungen notwendig werden.7 Fazit Nur wenn heute bei möglichst vielen Patienten sinnvolle und zukunftsweisende Therapieent- scheidungen getroffen werden, las- sen sich die Weichen richtig stellen. Für einen Weg nämlich, der es er- laubt, auch dem betagten Patienten ein funktionstüchtiges Kauorgan zu erhalten. So bleibt zu hoffen, dass die Rahmenbedingungen auch in der Zukunft eine an den Anforderun - gen und Bedürfnissen des alten Menschen ausgerichtete Zahnme dizin erlauben. DT Literatur 1 Fish S F: Adaptation and habituation to full dentures. Br Dent J 127, 19–26 (1969). 2 Glaser E M: The Physiological Basis of Habituation. Oxford University Press, London 1966. 3 I & G Gesundheitsforschung München: Bedarfsermittlung für prothetische Leis- tungen in der Zahnheilkunde bis zum Jahr 2020. München 2001. 4 Käyser A F: Shortened dental arches and oral function. J Oral Rehabil 8, 457–462 (1981). 5 Kerschbaum T.: Überlebenszeiten von Kronen- und Brückenzahnersatz heute. Zahnärztl Mitt 76, 231–235 (1986). 6 Kerschbaum T: Langzeitüberlebens dauer von Zahnersatz. Quintessenz 55, 1113–1126 (2004). 7 Marxkors R.: Gerontoprothetik.In: Mar- kors R.(Hrsg.): Lehrbuch der zahnärztli- chen Prothetik. Deutscher Zahnärzte Verlag, Köln 2007, 301–309. 8 Wöstmann B: Provisorischer Ersatz oder definitive Soforteinstückgussprothese? Dtsch Zahnärztl Z 49, 249–252 (1994). 9 Wöstmann B., Rehmann P.: Gerosto- matologie und Prothetik. Zahnmedizin up2date 3, 411–428 (2009). Abb. 4a und 4b: Drahtklammerverankerte Aufbauprothese im Unterkiefer. Fortsetzung von Seite 4 © tommaso lizzul/Shutterstock.com 4b 4a Tel.: +496419946150