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Dental Tribune Austrian Edition No.1, 2017

18 DENTAL TRIBUNE · D-A-CH Edition · Nr. 1/2017 Science Aggressive und schwere chronische Parodontitis – eine therapeutische Herausforderung Vorhersehbarer Zahnverlust oder Zahnerhalt durch ein individuelles Behandlungskonzept? Von PD Dr. Christian Graetz, Anna Plaumann, Konstantin Gomer, Dr. Maren Kahl, Dr. Claudia Springer, Dr. Sonja Sälzer und Prof. Dr. Christof E. Dörfer, Kiel, Deutschland. Die Behandlung von Patienten mit aggressiver (AgP) oder schwerer chronischer Parodontitis (CP) stellt für das Praxisteam eine therapeutische Herausforderung dar. Häufig wird Zähnen mit fort­ geschrittenem Attachmentverlust bei AgP erst gar keine Chance ge­ geben – sie werden frühzeitig ex­ trahiert. Oder es wird wiederholt versucht, rekurrierende akute paro­ dontale Entzündungen mit lokalen Maßnahmen „in den Griff zu bekommen“. Der Erfolg ist meist nur vorübergehend und die Be­ handlung endet später ebenfalls mit der Extraktion. Ohne ein geeignetes Behandlungskonzept bleibt, unabhängig von der Dia­ gnose, ein langfristiger Therapie­ erfolg bei AgP und CP aus. Parodontitisprävalenz und zahnärztliche Prävention Die CP ist eine der weltweit häufigsten chronischen Entzün­ dungserkrankung (Kassebaum et al., 2014), wobei das Erkrankungs­ risiko mit dem Alter zunimmt und für Deutschland im Seniorenalter eine Prävalenz von über 70 Pro­ zent angegeben wird (Holtfreter et al., 2009). Die AgP hingegen be­ trifft häufiger jüngere Patienten und die Prävalenz liegt in Europa bei 0,1 bis 0,3 Prozent (Saxen, 1980; Saxby, 1987). Bei Patienten mit afrikanischer Abstammung berichten Autoren aber von deut­ lich höheren Prävalenzraten von bis zu 2,5 Prozent (Susin et al., 2014). Setzt man als allgemeinen Konsens voraus, dass das Ziel der zahnärztlichen Prävention ein Langzeiterhalt der natürlichen Bezahnung in einem gesunden, funktionellen, schmerzfreien und ästhetischen Zustand ist (Schwei­ zerische Zahnärzte-Gesellschaft, 2000), ergibt sich die Frage, warum eine frühzeitige adäquate Behandlung der Parodontitis häu­ fig ausbleibt. Lässt sich dies pauschal mit unterschiedlichen Erwartungen an die parodontale Erhaltungsfä­ higkeit von Zähnen erklären? Zweifellos kann nach dem Verlust strategisch wichtiger Zähne in Folge einer Parodontitis die Kau­ fähigkeit nur durch prothetische und/oder teils aufwendige im­ plantatchirurgische Maßnahmen wiederhergestellt werden. Häufig führen diese dann aber infolge bio­ logischer oder technischer Kompli­ kationen zu weiteren Zahnverlusten und prothetischen Reparaturen und verursachen demzufolge hohe Folgekosten (Laurell et al., 1991; Pjetursson et al., 2004; Schmidlin et al., 2010; Bragger et al., 2011; Schwendicke et al., 2014; Schwen­ dicke et al., 2016). Früherkennung und präventive Behandlung der Parodontitis Primäres Ziel muss deshalb ein frühzeitiger Therapiebeginn sein. Auch wenn die während der letzten Jahrzehnte sinkende An­ zahl von fehlenden Zähnen im Erwachsenenalter ermutigend ist (Micheelis und Bauch, 1999; Micheelis und Schiffner, 2006), scheint es dennoch nach wie vor ein erhebliches Verbesserungspo­ tenzial zu geben. Studienergeb­ nisse aus Skandinavien dokumen­ tieren, dass mithilfe einer frühzei­ tigen präventiven Betreuung der Patienten erfolgreiche Zahn­ erhalte über 65 Jahre möglich sind (Schätzle et al., 2004). So fehlen den Senioren im direkten Ver­ gleich mit der gleichen Alters­ gruppe in Deutschland nur halb so viele Zähne (König et al., 2010). Zusammengefasst hat in Skandi­ navien die Prävalenz der Parodon­ titis bei gleichzeitig besserer Mundhygiene und steigender An­ zahl an erhaltenen Zähnen abge­ nommen (Skudutyte-Rysstad et al., 2007; Hugoson et al., 2008). Eine wesentliche Rolle bei der Frage des Zahnerhalts spielt die Prognose des weiteren Erkran­ kungsverlaufs, wobei das Ausmaß der Destruktion zu Beginn der Be­ handlung über weite Strecken nur untergeordnet von Belang ist. Die Prognose bedingt den Aufwand der Therapie, aber nicht notwen­ digerweise ihren Ausgang. Erst während des Verlaufs der unter­ stützenden Parodontitistherapie (UPT) nach erfolgreichem Ab­ schluss der aktiven Therapiephase kann eine zuverlässige prognosti­ sche Einschätzung der Erhaltungs­ möglichkeiten im Rahmen einer Reevaluation erfolgen. Dadurch können auch im parodontal kom­ promittierten Gebiss hohe Überle­ bensraten nachfolgender protheti­ scher Versorgungen erreicht wer­ den (Graetz et al., 2013b). Aller­ dings ist nicht nur die Mund­ hygiene relevant. Interaktionen der Paro­ dontitis mit anderen Erkrankun­ gen, wie beispielsweise Diabetes mellitus, beeinflussen die Präva­ lenz und den Schweregrad der pa­ rodontalen Entzündung (Taylor et al., 1996; Khader et al., 2006; Pre­ shaw et al., 2012) ebenso wie das Rauchen (Chambrone et al., 2010) und können somit weitere Zahn­ verluste bedingen (Faggion et al., 2007). Um zu einem (mehr) präventi­ ven Behandlungskonzept zu fin­ den, sollten erste Anzeichen paro­ dontaler Veränderungen durch ein parodontales Screening frühzeitig erkannt werden. Insbesondere die klinische Diagnostik mit der paro­ dontalen Sonde stellt hier eine wirksame Methode dar. Eine ak­ tuelle Übersichtsarbeit beschreibt eindeutig, dass Parodontitis keine „leise“ Erkrankung ist, d.h. nicht ohne klinische Anzeichen verläuft (Buset et al., 2016). Ein zeitsparen­ des und effektives Mittel zur Früh­ erkennung ist der Parodontale Screening Index (PSI), dessen Ergebnis auf einen bestimmten Grad der Behandlungsbedürftig­ keit hinweist. Dieser Schnelltest insbesondere bei Patienten mit er­ höhtem Risiko für parodontale Erkrankungen sollte häufiger als im Zweijahresrhythmus durchge­ führt werden. Allerdings ist zu be­ achten, dass es sich beim PSI tat­ sächlich um ein Screening han­ delt. Schlägt er an, ist eine umfas­ sende parodontale Diagnostik erforderlich. Erst durch sie kann die Diagnose einer Parodontitis gestellt werden. Daraus ergibt sich auch, dass der PSI ungeeignet zur Feststellung des Erkrankungszu­ standes bzw. zur Verlaufsbeobach­ tung und Erkennung von Rezidi­ ven bei Patienten ist (Eickholz, 2010a), bei denen bereits eine paro­ dontale Erkrankung festgestellt wurde oder die sich in der UPT befinden. In diesem Falle muss eine vollständige parodontale Dia­ gnostik erfolgen (Eickholz, 2007a). Zusätzliches diagnostisches Hilfs­ mittel können Röntgenbilder sein. Selbst Bissflügelaufnahmen, die im Zuge einer Kariesdiagnostik bei jungen Patienten von Zeit zu Zeit angefertigt werden, können eine beginnende AgP bereits früh­ zeitig aufdecken (Cogen et al., 1992; Sjodin et al., 1993). Gerade für eine solch lokalisierte Erkran­ kungsform, bei welcher häufig die Inzisiven und ersten Molaren zu­ erst betroffen sind (Lang et al., 1999), sollte grundsätzlich eine Beurteilung des Verlaufs des Lim­ bus alveolaris erfolgen. Neben einer familiären Häufung der Paro­ dontalerkrankung und ein außer der Parodontitis klinisch gesunder Patient gilt insbesondere das ra­ sche Voranschreiten der parodon­ talen Destruktion als primäres Kennzeichen der AgP (Armitage, 1999; Lang et al., 1999). Diese drei Hauptmerkmale wirken insge­ samt leicht beurteilbar, jedoch kann beispielsweise bereits die Definition „schnelle Progression“ Fragen aufwerfen. Fortgeschrit­ tene Destruktionen bei Jugendli­ chen und jungen Erwachsenen bis 20 Jahre lassen auf eine rasche Progression schließen, wenn man annimmt, dass die Erkrankung in der Pubertät begann. Aber wie be­ wertet man die Situation bei einem 40-Jährigen? Hat die Destruktion im Alter von 20 Jahren begonnen, so kann man eine langsame Pro­ gression annehmen und es handelt sich eher um eine schwere CP. Da­ gegen könnte die Erkrankung auch erst einige Jahre zuvor begonnen haben und damit sehr rasch ver­ laufen sein. Aktive Parodontitistherapie im fortgeschrittenen Erkrankungsstadium Grundsätzlich gibt es in Ab­ hängigkeit der beiden Diagnosen „aggressive“ oder „chronische Pa­ rodontitis“ keine Unterschiede im Therapieansatz, was anhand eines stufenartigen Therapieschemas der Klinik für Zahnerhaltung und Pa­ rodontologie in Kiel erläutert wer­ den soll. Hierbei erfolgen in der Hygienephase eine individuelle Instruktion und Motivation des Patienten zur Mundhygiene mit einem Schwerpunkt auf der Inter­ dentalraumpflege sowie profess­i­­o­- nelle Zahnreinigungen (PZR). Die antiinfektiöse Parodontitistherapie umfasst ein nichtchirurgisches De­ bridement der Wurzeloberflächen aller erkrankten, erhaltungsfähi­ gen Zähne mit Sondierungstiefen (ST) ≥ 4  mm. Bei sehr schweren Verlaufsformen der AgP und CP kann die mechanische antiinfek­ tiöse Therapie mit einer unterstüt­ zenden systemischen Antibiose kombiniert werden. In der Regel kann aber auch bei AgP und schwerer CP zuerst rein mecha­ nisch antiinfektiös, entsprechend des Konzeptes der Universität Gö­ teborg, behandelt werden (Schal­ ler, 2016). Bei mangelndem Thera­ pieerfolg der mechanischen Be­ handlung bzw. einem Fortschrei­ ten der Parodontitis trotz adä­­ quater Abb. 1b: 06/2007: 16 Jahre nach aktiver Parodontitistherapie, regelmäßiger halbjährli- cher UPT mit zwei Zahnverlusten (17 [1996] und 47 [2000]) sowie der Notwendigkeit zur lokalen Rezidivbehandlung mit Extraktion 14, 24 und 25 und folgendem protheti- schem Ersatz dieser Zähne durch festsitzende Brücken. – Abb. 1c: 10/2015: 24 Jahre nach APT; eine Behandlung von lokalen Rezidiven in Regio 36 (Wurzelamputation) und 16 (Extraktion nach erfolgloser Behandlung einer Endo-Paro-Läsion mit apikaler Aufhel- lung) führte zur verkürzten Zahnreihe im Oberkiefer rechts. Zahn 38 wurde ebenso auf- grund einer fortgeschrittenen Karies ein Jahr zuvor entfernt. 1c 1b 1a Abb. 1a: 06/1991: Männlicher 43-jähriger Patient, Raucher, schwere generalisierte CP. DTA0117_18-20_DACH-Science.indd 18 25.01.17 12:59 DTA0117_18-20_DACH-Science.indd 1825.01.1712:59

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