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Dental Tribune Swiss Edition No.6, 2016

4 DENTAL TRIBUNE Swiss Edition Nr. 6/2016 · 17. Juni 2016 Abb.3:DVT bei Erstbefundung: Über 2 cm durchmessende unizystische Läsion Regio 48. International Science „Bei jeder retromolaren Schwellung sollten auch Zysten und Tumore in Betracht gezogen werden“ Fallbericht eines grossen keratozystischen odontogenen Tumors als Zufallsbefund. Von Dr. med. dent. et MMed Sandra Fatori Popovic, Zürich, Schweiz. Dieser Fallbericht hat zum Ziel, einen in der Zahnarztpraxis ent- deckten grossen keratozystischen odontogenen Tumor (KOT) vorzu- stellen und anhand dessen eine Repetition dieser Tumorentität für Zahnärzte zu bieten. Bei jeder re- tromolaren Schwellung sollte der Zahnarzt als Differenzialdiagnose neben den häufigen Zahnabszessen auch Zysten und Tumoren als „red flag“ im Hinterkopf behalten. Aufgrund seiner klinischen und radiologischen Eigenschaften wurde der KOT früher als Zysten- form angesehen und ist auch heute noch unter seinen alten Bezeich- nungen „Keratozyste“ resp. „Pri- mordialzyste“ bekannt. Aus didak- tischen Gründen wird der KOT häufig gemeinsam mit den Zysten besprochen. Aus klinisch-prakti- scher Sicht ist dies durchaus sinn- voll, wie auch der folgende Beitrag zeigen wird. Einleitung Als Zysten werden ein- oder mehrkammerige pathologische Hohlräume mit breiigem oder flüs- sigem Inhalt bezeichnet. Zysten können in Knochen oder Weichtei- len gelegen sein. Sie werden von einer bindegewebigen Kapsel, dem Zystenbalg, umgeben. Echte Zysten sind lumenwärts mit Epithel ausge- kleidet. Bei Pseudozysten fehlt diese Epithelschicht (Schwenzer et al. 2000). Zysten sind im Kieferbereich aufgrund der entwicklungsge- schichtlichen Eigenart des Kauap- parates häufiger als in anderen Tei- len des Skeletts vorzufinden. Nach der radikulären und follikulären Zyste ist der keratozystische odon- togene Tumor mit einem Anteil von drei bis elf Prozent die dritthäu- figste „zystenartige Läsion“ des Kieferknochens (Chirapathomsa- kul et al. 2006). Das Krankheitsbild des KOT tritt in allen Altersgruppen auf, mit einem Gipfel in der zweiten und dritten Dekade (Kramet et al. 1992). Ein zweiter Altersgipfel ist von der vierten bis zur fünften Le- bensdekade zu verzeichnen (Aga- ram et al. 2004). Das gemeinsame Vorkommen von Kieferzysten, multiplen Basali- omen und Gabelrippen im anterio- ren Thoraxberich wurde erstmals von Gorlin und Goltz 1960 berich- tet und nach den Autoren als Gor- lin-Goltz-Syndrom benannt (Gor- lin & Goltz 1960, Bornstein et al. 2005). Der KOT ist analog einer ech- ten Zyste mit Plattenepithel ausge- kleidet und kann sich solitär oder multipel in allen Teilen des Kiefer- knochens manifestieren. Überwie- gender Ort des Vorkommens ist je- doch der posteriore Unterkiefer (Shear 2003). Neben der radiologi- schen Ähnlichkeit resultiert insbe- sondere aus Alters- und Ortsvertei- lung auch das Ameloblastom als die häufigste Differenzialdiagnose zum KOT. Das Orthopantomogramm kann 95 Prozent aller KOT-Be- funde darstellen und wird in aller Regel für die primäre Diagnostik angewandt. Typische Erschei- nungsform sind Aufhellungen im (meist mandibulären retromola- ren) zahnlosen Bereich mit einem peripheren kortikalen Saum. Die Veränderungen sind häufig septiert oder mehrkammerig mit wellenförmigem Verlauf der Grenze. Es besteht der dringende Verdacht auf ein KOT oder ein Ameloblastom, wenn eine Mehr- kammerigkeit der Läsion vorliegt. Einkammerigkeit schliesst beide Erkrankungen nicht aus, jedoch rü- cken dann andere Entitäten in der Rangfolge der Differenzialdiagno- sen nach oben, da sie statistisch häufiger vorkommen. Aber immer- hin: Etwa 20 Prozent der KOT tre- ten unter dem radiologischen Bild der follikulären Zyste auf! Rein ra- diologisch ist schlussendlich die Di- agnose KOT – insbesondere in Ab- grenzung zum Ameloblastom und (bei nicht septierten, einkammeri- gen Formen) zur follikulären Zyste – nicht zu stellen, auch wenn ge- wisse Zeichen den Verdacht auf ein KOT nahelegen (Bayer et al. 1987). KOT – klinisches Verhaltensmuster Im Gegensatz zu odontogenen Zysten kennzeichnet den keratozys- tischen odontogenen Tumor ein ag- gressives klinisches Verhaltensmus- ter. Nach operativer Entfernung zeigt sich eine hohe Rezidivrate (Jackson et al. 1993). Nebst seinem invasiven Verhalten ist die hohe Rezidivrate nach operativer Entfernung klinisch besonders bedeutsam. Nach klini- schen, radiologischen und patholo- gischen Gesichtspunkten vereint der KOT somit die Eigenschaften einer ZysteundeinesTumors.Daherrührt selbstverständlich auch die lange De- batte über seine Zuordnung. Erst mit der Klassifikation durch die Weltge- sundheitsorganisation von 2005 er- folgte unter anderem aus molekular- genetischen Gründen die heute gül- tige Zuordnung als odontogener Tumor. Das expansive, aber auch lokal destruierende Wachstum führt zur Verdrängung und auch Penetration des umgebenden Gewebes sowie zur Zerstörung des Kieferknochens. Bei entsprechender Ausdehnung sind zudem Frakturen möglich. Das Wachstum vollzieht sich meist vom Patienten unbemerkt, sodass sich zum Zeitpunkt der Diagnosestellung zumeist beträchtliche Defekte dar- stellen (Jackson et al. 1993). Seltene Symptome können Schmerzen/ Druckgefühl, Schwellung und Sekre- tion sein (Madras & Lapointe 2008). Das destruktive Potenzial der Keratozyste wird durch die in der Li- teratur beschriebenen Fälle mit Aus- dehnungbisindieSchädelbasis(Jack- sonetal.1993),dieFossainfratempo- ralis und Orbita mit konsekutivem Visusverlust aufgezeigt (Chuong et al. 1982, Partridge & Towers 1987). Differenzialdiagnose Folgende Pathologien müssen vor allem in Betracht gezogen wer- den (nach Beyer et al. 1987 und Schneider et al. 2014): • Ameloblastom • ameloblastisches Fibrom • odontogenes Myxofibrom • Residualzyste (aber auch folliku- läre und radikuläre Zyste) • solitäre Knochenzyste • Pseudozyste der Kieferhöhlen- schleimhaut • Ausbuchtung der Kieferhöhle in den Alveolarfortsatz. Als differenzialdiagnostisches Kriterium zum Ameloblastom gelten diesubjektiveBeschwerdefreiheitder Patienten sowie die geringen knö- chernen Auftreibungen bei Kerato- zysten (Machtens et al. 1972). Zu- sätzlich kommt es bei Ameloblasto- men häufiger zu nervalen Störungen, resorptiven Prozessen an Zahnwur- zeln und Kieferdeformierungen als bei der Keratozyste (Machtens et al. 1972, Minami et al. 1996). Letztendlich bleibt die Diagno- sestellung aber der histopathologi- Abb. 1: Intraorale Aufnahme bei Eingangsuntersuchung, distal des Zahnes 47 ist im Spiegel eine deutliche Öffnung zu sehen. – Abb. 2: Orthopantomogramm bei Erstbefundung: Regio 48 unizystische Aufhellung mit scharf begrenztem kortikalem Saum. © Anna Jurkovska/Shutterstock.com 1 2 3 Literatur 12

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