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Dental Tribune German Edition No. 5, 2016

4 DENTAL TRIBUNE German Edition Nr. 5/2016 · 4. Mai 2016 International Science Leitungs- und/oder Infiltrationsanästhesie vs. intraligamentäre Anästhesie (ILA) Zahnmedizinische Behandlungsabläufe optimieren – gut für Behandler und Patient. Von Dr. med. dent. Wolfgang Bender, Düsseldorf, und Lothar Taubenheim, Erkrath, Deutschland. An allen Universitäten wird sie ge­ lehrt und in Deutschland p. a. mehr als 16 Millionen Mal angewandt: die Leitungsanästhesie des N. alveolaris inferior. Jeder Zahnarzt appliziert sie durchschnittlich mehr als 260 Mal im Jahr (KZBV Jahrbuch 2015). Lie­ bend gerne würden fast alle prakti­ zierenden Zahnärzte auf die Lei­ tungsanästhesie zur örtlichen Betäu­ bung vor zahnmedizinischen Thera­ pien verzichten. Nur eine Handvoll Zahnmediziner finden die intra­ und die extraorale Leitungsanästhe­ sie faszinierend. Frage und Hand aufs Herz: Wer quält schon gerne seinen Patienten durch „die Spritze“? Nach der Be­ funderhebung werden mit dem Pa­ tienten die Diagnose und die Thera­ piemöglichkeiten besprochen. Dann muss er entscheiden, ob die Behand­ lungunterörtlicherBetäubungerfol­ gen soll. Und nun fängt das Problem an: Im Unterkiefer­Seitenzahnbe­ reich ist die Schmerzausschaltung nur durch eine Leitungsanästhesie möglich, weil die Compacta eine Infiltration unmöglich macht. Schwierigkeiten bei der Leitungsanästhesie Die Schwierigkeit bei der Lei­ tungsanästhesie des N. alveolaris inferior besteht insbesondere darin, dass das Foramen mandibulae – der Injektionspunkt – klinisch weder zu ertasten noch auf andere Weise exakt lokalisierbar ist. Die Führung der Kanüle muss sich daher an nicht sicht­, sondern nur an tastbaren ana­ tomischen Strukturen orientieren, wobei die exakte Lage der Kanülen­ spitze und des Foramens nicht be­ stimmbar ist. Der Einstichpunkt liegt lateral der Plica pterygomandi­ bularis etwa in der Mitte zwischen den Zahnreihen von Ober­ und Un­ terkiefer. Die Insertion der Injek­ tionsnadel erfolgt „blind“: Wird die Kanüle eingeführt, trifft man i. d. R. nach Einführen der halben Kanülen­ länge (ca. 2 cm) auf Knochen. Die Kanülenspitze befindet sich an der Innenseite des aufsteigenden Unter­ kieferastes oberhalb des Foramen mandibulae.Trifftmaningeringerer Tiefe auf Knochen, so ist die Kanüle zu weit nach lateral eingestochen und/oder der Winkel zur Mediane­ bene zu groß. Ist umgekehrt die Ka­ nüle zu flach (Winkel zwischen Ka­ nüle und Medianebene zu klein) ein­ geführt, kommt es erst in größerer Tiefe (bzw. überhaupt nicht) zum Knochenkontakt. In beiden Fällen muss die Kanüle zurückgezogen und nach entsprechender Korrektur er­ neut eingeführt werden. Ist die Ka­ nüle exakt positioniert, wird sie nach Knochenkontakt etwas zurückgezo­ gen und – nach Aspiration – die In­ jektion vorgenommen (Rahn 2003). Komplikationen Das beschriebene Vorgehen be­ inhaltet mindestens drei Komplika­ tionen: Beim Einführen der Kanüle ver­ spürt der Patient immer einen – für ihn sehr unangenehmen – Einstich­ schmerz. Da die Einführung der Ka­ nüle „blind“ erfolgt, ist das Risiko, einen Nerv zu treffen, relativ hoch. Ein Nervkontakt, den der Patient als „Blitzeinschlag“ empfindet, erfor­ dert eine Umpositionierung der Ka­ nülenspitze, um eine intraneurale Injektion des Lokalanästhetikums zu vermeiden. Da in der unmittelbaren Umge­ bung größerer Nervenstämme Blut­ gefäße verlaufen, istbeiderLeitungs­ anästhesie auch das Risiko der Punk­ tioneinessolchenGefäßesunddamit trotz Aspiration einer versehentli­ chen intravasalen Injektion des Lokalanästhetikums gegeben9 , was gelegentlich zu Herz­Kreislauf­Kom­ plikationenführt,auchsindophthal­ mologischen Komplikationen mög­ lich.13 Eine Aspiration verhindert zwar nicht einen Gefäßkontakt, macht ihn aber offenbar. Ein Gefäßkontakt und die dadurch ausgelöste Blutung kön­ nen als unerwünschte Effekte auch eine Kieferklemme auslösen. Diese tritt meist nach einem Tag auf – in­ folge des Hämatoms, ggf. auch einer intramuskulären Entzündung mit konsekutiver Narbenbildung.11 Bei 608 Leitungsanästhesien am Fora­ men mandibulae wurden 122 (20,1 Prozent) positive Aspirationen do­ kumentiert.3 Nach Lipp (1989) fin­ den sich auch bei negativer Aspira­ tion noch ca. 20 Prozent unbemerkte intravasale Injektionen6 , z. B. durch Aspiration der Gefäßwand. Da bei der Leitungsanästhesie angestrebt wird, das Lokalanästheti­ kum möglichst nahe am Nerven zu injizieren, andererseits der Nerv selbst bei der Injektion nicht exakt lokalisiert werden kann, ist eine Ver­ letzung des Nerven mit der Kanülen­ spitze im Einzelfall nicht sicher ver­ meidbar. Das „Anstechen“ des Nervs kann zu Sensibilitätsstörungen im Ausbreitungsgebiet führen (Paräs­ thesie, Hypästhesie), die jedoch in aller Regel – aber nicht immer – re­ versibel sind.5, 9 Alle praktizierenden Zahnärzte kennen diese Komplikationen und die Grenzen v.a. der Leitungsanäs­ thesie des N. alveolaris inferior und würden sie gerne vermeiden, da man sie dem betroffenen Patienten darle­ gen muss. Zwischen Ende der Injektion und Anästhesieeintritt ist bei der Mandibularanästhesie immer eine Latenz zeitlich zu überbrücken. Dirnbacher2 dokumentierte bei 202 Fällen eine durchschnittliche La­ tenzzeit von 3,8 min (41,1 Prozent >4 min) und eine unzureichende Desensibilisierung von 20,8 Prozent, d.h. eine Wartezeit des Behandlers signifikant über der durchschnittli­ chen Latenzzeit.2 Latenzzeit und An­ ästhesieversagerrate sind Komplika­ tionen, die den Behandler belasten. Auch auf die Latenzzeit und dem damit verbundenen „Room hop­ ping“ würde jeder Zahnmediziner gerne verzichten. Anästhesiedauer Die Dauer der Anästhesie ist eine Komplikation, die den Patienten be­ lastet. In der Dirnbacher­Studie2 be­ trug die Wirkung der Leitungsanäs­ thesie nur bei 5 Prozent der doku­ mentierten Fälle weniger als drei Stunden; zwischen drei und vier Stunden dauerte die Anästhesie bei 68,8 Prozent der Fälle (139 von 202) und in 53 Fällen (26,2 Prozent) sogar mehr als vier Stunden. Andere Ver­ gleichsstudien 8, 15 kommen zu ähn­ lichen Ergebnissen. Die Einschränkung der Disposi­ tionsfähigkeit des Patienten über Stunden nach Abschluss der Be­ handlung wird zu minimieren ver­ sucht durch adrenalinreduzierte Anästhetika. Auch die zusätzliche Injektion von Medikamenten „zur Aufhebung einer dentalen Lokal­ anästhesie“ (OraVerse, Sanofi 2013) wird aktuell propagiert. Die Tatsache bleibt: Die Leitungsanästhesie des N. alveolaris inferior schränkt die Dispositionsfreiheit des Patienten noch Stunden nach Abschluss der Behandlung signifikant ein. Patienten unter Antikoagulantien Bei Patienten unter Antikoagu­ lantien dürfen Leitungsanästhesien auf keinen Fall vorgenommen wer­ den. Diese können infolge massiver Hämatombildung lebensbedrohli­ che Folgen haben. In erster Linie sind hier Leitungsanästhesien am Fora­ men mandibulae zu nennen.10,11 Was macht man bei diesen Patien­ ten? Erfolglose Leitungsanästhesie Und noch eine weitere Frage: Was macht man, wenn die appli­ zierte Leitungsanästhesie nicht den gewünschtenErfolggebrachthatund eine Komplettierung erfolgen muss? EinezweiteLeitungsetzen?Daskann teuer und zeitaufwendig werden, wenn der Patient – bei einer mögli­ chen Nervläsion, ggf. durch eine in­ tranervale Injektion – einen Rechts­ anwalt findet, der die Gesetzeslage und die aktuelle Rechtsprechung kennt ... Alternativen der Leitungsanästhesie Die o. g. Risiken und Komplika­ tionen sind mit dem Patienten zu be­ sprechen. Meistens sagt er „Ja“, weil er nicht gerne eine schmerzhafte zahnärztliche Behandlung ertragen möchte. Gibt es aktuell eine evidenzba­ sierte Alternative für die Leitungs­ und/oder die Infiltrationsanästhe­ sie? Betrachtet man den medizin­ technischen Fortschritt der Lokal­ anästhesie der letzten 30 Jahre und die klinisch­wissenschaftlichen Stu­ dienergebnisse, die zu dieser Thema­ tik publiziert wurden, dann heißt die Antwort JA – die intraligamentäre Anästhesie(ILA).Undwieistdasmit den Komplikationen, sind die oben beschriebenen Risiken und Kompli­ kationen der Leitungsanästhesie bei der intraligamentären Anästhesie nicht gegeben? Die Ergebnisse der in den letzten drei Jahrzehnten durchgeführten klinischenStudien,diealleinternati­ onal publiziert wurden, zeigen, dass diese Möglichkeit der örtlichen Be­ täubung alle Anforderungen an eine primäre Lokalanästhesiemethode erfüllt und keine der Risiken und Komplikationen gegeben ist: • keine Latenzzeit zwischen intra­ ligamentaler Injektion und Anäs­ thesieeintritt • kaum Anästhesieversager • kein Risiko von Gefäß­ und Nerv­ kontakten sowie ­läsionen • keine artikulatorischen und mastikatorischen Patientenbeein­ trächtigungen nach Abschluss der Behandlung. Schon 1994 konnten Heizmann und Gabka zeigen, dass die ILA bei Zahnextraktionen den – weltweit ge­ lehrten – konventionellen Infiltra­ tions­ und Leitungsanästhesien sig­ nifikant überlegen ist, sowohl hin­ sichtlich Anästhesieerfolg als auch mit Blick auf die Beeinträchtigung des Patienten und die Latenzzeit zwi­ Abb. 1: Bei der DIN-genormten Dosierradspritze wird die vom Behandler aufgebaute Kraft ohne integrierte mehrstufige Hebel- systeme übertragen. 1 Abb. 2: Die Insertion der Kanüle in den Desmodontalspalt erfolgt unter vollständiger visueller Kontrolle. 2 Literatur © Syda Productions/Shutterstock.com

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