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Dental Tribune Swiss Edition No.3, 2016

4 International Science DENTAL TRIBUNE Swiss Edition Nr. 3/2016 · 2. März 2016 Die Hart- und Weichgewebe der Mundhöhle sind zeitlebens durch individuell variable Kollektive von Mikroorganismen besiedelt. Diese Keime sind normale Bestandteile des oralen Ökosystems, wobei die Zu- sammensetzung der Standortflora durch zahlreiche exo- und endogene Faktoren getriggert wird. Komplexe Wechselbeziehungen zwischen Pla- que, oralem Gewebe, Gesamtorga- nismus und äusseren Parametern entscheiden letztlich über Gesund- heit oder Erkrankung. Gingivitis und Parodontitis sind das Ergebnis einer nachhaltigen Störung der Ho- möostase unserer Mundhöhle. Das endokrine System spielt dabei eine wichtige Rolle. Hormondrüsen pro- duzieren spezifische Botenstoffe, welche die Funktionen unseres Kör- pers regulieren. Die Botenstoffe in- teragieren nicht nur in vielfältiger Weise miteinander, sondern wirken auch auf eine Reihe unterschiedli- cher Gewebe. Nach ihrer chemi- schen Struktur unterscheidet man Peptidhormone (z.B.Parathormon), Aminosäurederivate mit den Ka- techolaminen, Arachidonsäurederi- vate mit Thrombaxan und Prosta- glandinen und die Steroidhormone. Balance oder Inbalance dieser Sig- nalstoffe haben grossen Einfluss auf die Gesundheit der oralen Gewebe. Die meisten Untersuchungen beschäftigen sich mit der Wirkung von Steroidhormonen auf das Paro- dontium.Es steht heute ausser Frage, dass die variierenden Anteile von Androgenen, Östrogenen und Pro- gesteron in den verschiedenen Le- bensphasen den parodontalen Status erheblich mitbestimmen. Reifung, Differenzierung und Struktur der Gewebe des Zahnhalteapparates werden in unterschiedlichem Aus- mass von den Sexualhormonen re- guliert. Die Konzentration von Ste- roidhormonen im Sulkusfluid steigt und sinkt parallel zum jeweiligen Blutspiegel. Die Gingiva exprimiert Steroidhormonrezeptoren und ist damit Zielgewebe für diese Boten- stoffe. Androgene fördern die Bil- dung von Osteoblasten und die Syn- these von Bindegewebsmatrix durch die Zellen des parodontalen Liga- ments. Sie wirken protektiv gegen Entzündungsmediatoren durch Hemmung der IL6-Produktion und der Prostaglandinsekretion. Östrogene fördern die Prolifera- tion der Gingivazellen. Gleichzeitig wird aber die Keratinisierung der Oberflächenepithelien der Schleim- haut gehemmt, wodurch es zu einer Schwächung der Epithel/Bindege- websschranke kommt.Weiterhin be- einflusst Östrogen die Einsprossung von Blutgefässen in die Gingiva, die Immunantwort und das Phago- zytoseverhalten der neutrophilen Granulozyten. Progesteron bewirkt unter anderem eine erhöhte Perme- abilität der Gefässe sowie vermehrte Entzündungsbereitschaft durch eine Steigerung der Prostaglandinsyn- these und der Einwanderung von Granulozyten in den Sulkus. Kri- tische Phasen für das Parodontium sind meist Perioden der Hormon- umstellung, nämlich Pubertät, Schwangerschaft und Menopause. Daneben gibt es regelmässige Spie- gelschwankungen im Verlauf des Menstruationszyklus, welche sich, wenn auch in geringerem Ausmass, auf die Integrität der oralen Gewebe auswirken können. Pubertät als Risikofaktor für Gingiva und Parodontium In der Pubertät kommt es zur ersten grossen Hormonumstellung. Das geschlechtsspezifische Anstei- gen der Sexualhormone in der Sul- kusflüssigkeit destabilisiert zumin- dest vorübergehend das ökologische Gleichgewicht im Mundhöhlenbio- top. Das Zahnfleisch wird vulnerab- ler, blutet leichter bei mechanischer Manipulation. Die Ursache dafür liegt in einer Änderung des Phagozy- toseverhaltens der lokalen Leukozy- ten und einer vermehrten Freiset- zung von hydrolytischen Enzymen. So wird eine überschiessende Ent- zündungsreaktion auf mikrobielle Reize ausgelöst. In manchen Fällen kommt es sogar zu einer hormon- induzierten Hyperplasie der Gingiva mit Ausbildung von Pseudotaschen, wodurch sekundär die Plaquereten- tion gefördert wird. Begünstigend für die Entstehung einer Pubertäts- gingivitis sind Zahnfehlstellungen, offener Biss oder eine Amelogenesis imperfecta, welche durch Rauigkei- ten der Zahnoberfläche bessere Haf- tungsbedingungen für Bakterien er- möglicht. Der durchschnittliche Plaque- index bleibt meist weitgehend un- verändert, sehr wohl aber verändert sich die Zusammensetzung der Mundflora. Vor allem bei schlechter oder nur mässiger Mundhygiene steigt der Anteil von gramnegativen Stäbchenbakterien signifikant an. Besonders die schwarz pigmentier- ten Anaerobier, wie Prevotella inter- media und Porphyromonas gingiva- lis, aber auch andere potenziell paro- dontalpathogene Keime wie Cap- nocytophaga und Tannerella forsythia können vermehrt nachgewiesen werden. Die auffällige Verschiebung der primär grampositiven kokken- dominierten Mundflora in Richtung einer gramnegativen vorwiegend anaeroben Population ist bei zu- nächst noch intakter Epithel- schranke vollständig reversibel. Durch Verbesserung der täglichen Mundhygiene und regelmässiger professioneller Zahnreinigung und Konkremententfernung können spä- tere Schäden mit irreversiblem Ge- websverlust vermieden werden. Die Entzündung und Zahnfleischaltera- tion bei einer Pubertätsgingivitis muss in jedem Fall differenzialdia- gnostisch von einer möglichen ag- gressiven juvenilen Parodontitis un- terschieden werden, da bei Letzterer völlig andere therapeutische Mass- nahmen notwendig sind. Dennoch ist eine Pubertätsgingivitis nicht zu unterschätzen, da in dieser kri- tischen Phase der Grundstein für eine spätere chronische Parodontal- erkrankung gelegt wird. Die oralen Gewebe in der Schwangerschaft Progesteron und Östrogen errei- chen in der Gravidität bis zum letz- ten Trimenon Plasmakonzentratio- nen von 100 ng/ml bzw. 6 ng/ml. Dieser Hormonanstieg hat beträcht- liche Auswirkungen auf Gingiva und Parodontium. Fast 100 Prozent aller schwangeren Frauen leiden unter Gingivitis. Die Gewebe sind anfälli- ger für bakterielle Noxen. Besonders bei bereits vorbestehenden Erkran- kungen des Zahnhalteapparats kann es zu akuten Exazerbationen und zur Progression des Krankheitsverlaufes kommen. Die Rückbildung der Lä- sionen und die Wiederherstellung einer physiologischen Mundflora dauert im Durchschnitt ein Jahr post partum. Durch die in der Schwan- gerschaft vermehrte Exprimierung von Steroidhormonrezeptoren an der Gingiva können Östrogen und Progesteron ihre Wirkung voll ent- falten. Der Stoffwechsel der oralen Gewebe verändert sich. Durch das Östrogen wird zwar die Teilungsaktivität der Epithelien und der Fibroblasten verstärkt, gleichzeitig aber auch die Bildung von Entzündungsmediatoren ange- kurbelt. Prostaglandin E2 wirkt för- dernd auf die Aktivität der Osteo- klasten und damit auf den parodon- talen Knochenabbau. Eine entscheidende Rolle bei der Schwangerschaftsgingivitis spielt das Progesteron.Im gesunden Zahn- fleisch wird es nur teilweise metabo- lisiert und liegt deshalb meistens in seiner aktiven Form vor. Im Verlauf der Gravidität fallen immer grössere Progesteronmengen an, der Umsatz im Gewebe kann aber nicht weiter gesteigert werden. Durch die bei Schwangeren allgemein veränderte Immunlage wirkt das Hormon wie ein lokales Immunsuppressivum. So werden zwar akute Entzündungen zumindest partiell unterdrückt, chronische Prozesse aber gefördert. Ein weiteres Problem ergibt sich aus den durch Progesteron bedingten Veränderungen im fibrinolytischen System. Die veränderte Hormonlage bewirkt nämlich eine Verminderung des Plasminogenaktivator-Inhibitor Typ 1, kurz als PAI bezeichnet. Die- serwirktnormalerweisederGewebs- proteolyse entgegen. Nun sind aber Progesteronspiegel und PAI negativ korreliert, je höher die Progesteron- konzentration, desto niedriger ist der Anteil des PAI. Bei Schwangeren mit besonders ausgeprägter paro- dontaler Entzündungsreaktion auf die mikrobielle Plaque findet man deutlichniedrigereSulkus-PAI-Spie- gel als bei parodontal Gesunden.Der Gewebsproteolyse und Zellzerstö- rung wird nicht mehr ausreichend entgegengewirkt. Zudem wird das Weichgewebe ödematös aufgelockert und durch die vermehrte Gefässeinsprossung besteht eine höhere Blutungsnei- gung.Nicht selten kommt es zu einer Gingivahyperplasie mit Grössenzu- nahme der Interdentalpapillen. Ähnlich wie auch bei Pubertieren- den bilden sich Pseudotaschen, wel- che die Plaqueretention begünstigen Hormonelle Einflüsse auf Gingiva und Parodontium Gingivitis und Parodontitis sind das Ergebnis einer nachhaltigen Störung der Homöostase unserer Mundhöhle. Von DDr. Christa Eder, Wien, Österreich. Anaerobe Mischkultur aus dem Sulkus bei Pubertätsgingivitis. Akute Zahnfleischentzündung bei einem Jugendlichen. © Designua Hormonumstellung in der Pubertät birgt Risiken für Gingiva und Parodontium. © Monkey Business Images Wirkungsweise von Steroidhormonen Fortsetzung auf Seite 6

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