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Dental Tribune German Edition No. 3, 2016

13Continuing EducationDENTAL TRIBUNE German Edition Nr. 3/2016 · 2. März 2016 Mit der stetig steigenden Zahl an Flüchtlingen, die in ganz Europa Aufnahme ersuchen, ergeben sich für fast alle Bereiche des täglichen Lebens, einschließlich der Zahn­ medizin, aktuelle Fragen und Prob­ lemstellungen. Zahnärzte in ganz Deutschland, die Asylsuchende in ihren Praxen behandeln möchten, sehen sich mit ganz konkreten Her­ ausforderungen konfrontiert. Dabei stehen, je nach Bundesland, ver­ schiedene Vorgaben und Hilfestel­ lungen zur Verfügung. Antje Isbaner: Die derzeitigen Re­ gelungen zur medizinischen und zahnmedizinischen  Versorgung von Flüchtlingen sind bundesweit sehr heterogen. Dies verunsichert Flüchtlinge, zuständige Ämter und Zahnärzte gleichermaßen. Welche Leistungen werden bei akuten Zahn­erkrankungen und Schmerz­ zuständen nach demAsylbewerber­ leistungsgesetz (AsylbLG) finan­ ziert? Und gibt es, ähnlich der baye­ rischen Positivliste, überregionale, einheitliche Vorgaben zu Leistun­ gen und deren Finanzierung? Prof. Dr. Dr. Farmand: Für die medizinische Versorgung der Asyl­ bewerber gilt während der ersten 15 Monate ihres Aufenthalts das Asyl­ bewerberleistungsgesetz. Ein Leis­ tungsanspruch gem. § 4 besteht im Falle von „akuten Erkrankungen und Schmerzzuständen“. Es können aber auch Behandlungen durchge­ führt werden,die zur Besserung oder Linderung von Krankheiten oder Krankheitsfolgen dienen. Welche Behandlungen das konkret sind, ist aber im Gesetz nicht geregelt. Des­ halb herrscht nach wie vor bundes­ weit Unklarheit über Art und Um­ fang der zahnmedizinischen Leis­ tungen für diese Patientengruppe. Die Kassenzahnärztliche Bundesver­ einigung bemüht sich zwar um ein­ heitlicheVorgaben,das ist aber kom­ pliziert, weil die Zuständigkeit bei den Ländern liegt. Sie müssen die Leistungen bezahlen und entschei­ den deshalb eigenverantwortlich, was zu welchen Konditionen abge­ rechnet werden kann. Der Anspruch auf medizinische Versorgung von Flüchtlingen ist auf Notfälle beschränkt.Wie ist mit dieserVorgabe aus Ihrer und damit der Behandlersicht umzugehen? Das Gesetz ist ein Spagat zwi­ schen Ethik und Monetik. Einerseits soll Menschen in Not geholfen wer­ den, andererseits will der Gesetzge­ ber Anreize für eine Zuwanderung aus wirtschaftlichen Gründen ver­ meiden. Im zahnärztlichen Bereich kann aber durchaus mehr erbracht werden als eine reine Schmerzthera­ pie.Im Gesetz heißt es nämlich auch, dass Krankheitsfolgen verhindert werden sollen. Hat ein Asylbewerber Karies, kann der Zahnarzt sie behan­ deln, um ein Fortschreiten der Er­ krankung zu verhindern, auch wenn der Patient noch keine Schmerzen hat. Das sieht auch die bayerische Positivliste ausdrücklich vor. Nach 15 Monaten Aufenthalt in Deutschland gilt dann für Asylbewerber der Leis­ tungskatalog der gesetzli­ chen Krankenversiche­ rung. Diese Zeit kann man meines Erachtens mit dem jetzigen Behand­ lungsspektrum überbrü­ cken. Viele Asylsuchende, die in Zahnarztpraxen kom­ men, sprechen kein Deutsch. Für den Zahn­ arzt ist es jedoch wichtig zu wissen, welche Prob­ leme undVorerkrankun­ gen der Patient hat. In­ wieweit helfen hier Pa­ tientenerhebungsbögen in verschiedenen Spra­ chen, Piktogramme des BZÄK bzw. Dolmet­ scher-Hotlines, wie sie der Freie Verband Deut­ scher Zahnärzte (FVDZ) seit Ende 2015 als Pilot­ projekt zur Verfügung stellt? Jede Verständigungshilfe ist hilf­ reich, denn auch bei Asylbewerbern gelten die Aufklärungs- und Doku­ mentationspflichten. Die KZVB hat deshalb schon vor einem halben Jahr Anamnesebögen in den häufigsten der von Asylbewerbern gesproche­ nen Sprachen erstellt, die auch aus anderen Bundesländern nachgefragt werden. Man findet sie im Internet auf kzvb.de/asyl. Rein rechtlich hät­ ten Asylbewerber auch einen An­ spruch auf einen Dolmetscher, aber davon gibt es viel zu wenige. Ich per­ sönlich habe gute Erfahrungen ge­ macht mit Begleitpersonen, die Eng­ lisch oder Deutsch sprechen. Man muss sich aber vergewissern, dass auch richtig übersetzt wird. Noch wichtiger wäre aus meiner Sicht aber ein Gesundheitspass, in dem mögli­ che Vorerkrankungen eingetragen sind. Wir haben ja auch eine Sorg­ faltspflicht gegenüber unseren Mit­ arbeitern. Die Deutsche Ärzteversicherung garantiert Behandlern, die Flücht­ linge ambulant betreuen, unein­ geschränkten Versicherungsschutz in der Berufshaftpflichtversiche­ rung.Wie hoch schätzen Sie grund­ sätzlich Behandlungsrisiken durch mögliche Verständigungsprobleme ein? Ich halte das Risiko eines Be­ handlungsfehlers bei Asylbewerbern nicht für höher als bei anderen Pati­ enten. Das liegt auch am reduzierten Leistungskatalog. Extraktionen und Füllungen sind nun einmal weniger komplex als Teleskopkronen oder Implantate. Hinzu kommt, dass die allermeisten Asylbewerber unend­ lich dankbar sind, wenn man sie be­ handelt und sie von oft jahrelangen Schmerzen befreit sind. Das ist ja auch für uns Zahnärzte ein schönes Gefühl, wenn wir Menschen helfen können. Die Behandlung wird na­ türlich mit der gleichen Sorgfalt wie bei allen anderen Patienten durch­ geführt. Auf dem 56. Bayerischen Zahnärz­ tetag 2015 sind Sie im Besonderen auf die zahnärztliche Behandlung von minderjährigen Asylbewer­ bern eingegangen. Worin liegt Ihrer Meinung nach die Problema­ tik dieser Patientengruppe? Mit der steigenden Zahl der Asylbewerber kommt eine neue Gruppe von Minderjährigen ins Land, deren Eltern bisher natürlich ganz andere Sorgen gehabt haben, als sich um die Zahnpflege zu küm­ mern. Ganze Familien haben oft­ mals ihr letztes Geld zusammenge­ legt, damit ihre Kinder eine Zukunft in Frieden und Freiheit haben.Dem­ entsprechend groß kann das Aus­ maß der Erkrankungen im Zahn-, Mund- und Kieferbereich bei asylsu­ chenden Kindern und Jugendlichen sein. Ausgewählte Fälle wie z.B. Ka­ ries der gesamten Milchzähne, ohne eine Möglichkeit des Erhalts eines Zahnes,Verlust von wichtigen Stütz­ pfeilern für das Gesichtswachstum, dramatische Infektionen der Ge­ sichtsweichteile, ausgelöst von zer­ störten Zähnen und Anomalien wie Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten und extreme Zustände nach voran­ gegangenen Operationen fordern ein besonderes Know-how des Be­ handlers und machen eine umfas­ sende Behandlung, über eine reine Notfallversorgung hinaus, notwen­ dig. Besteht darüber hinaus Angst und Traumatisierung bei den min­ derjährigen Patienten, muss die Be­ handlung zum Teil in Sedierung oder sogar in Allgemeinnarkose durchgeführt  werden. Dies wiederum kann eine stationäre Behandlung nach sich ziehen. Die zahnmedizinischen Prob­ leme können also – das sei hier nur angesprochen – wirklich vielfältig sein und brauchen daher ent­ sprechende Mittel und Handlungsspielräume. Ein weiterer wichtiger Aspekt bei der Betrach­ tung dieser Patienten­ gruppe ist die rechtliche Lage. Reisen minderjäh­ rige Kinder und Ju­- gend­liche unbegleitet in Deutschlandein,brauchen sie nach deutschem Recht einen Vormund, der recht­ liche Entscheidungen für sie trifft. Aufgrund der großen Zahl der Zuwande­ rer sind viele Jugendämter und Gerichte damit jedoch schlichtweg überfordert. Hier müssen wir uns un­ bürokratische Lösungen einfallenlassen,umbeiBe­ darf schnell eine Einwilli­ gung zu einer notwendigen zahnme­ dizinischen Behandlung zu erhalten. Welche ganz persönlichen Er­ kenntnisse und Erfahrungen bei der zahnärztlichen Betreuung von Migranten haben Sie über die ver­ gangenen Wochen und Mo­ nate sammeln können? Wie bereits angesprochen, halte ich persönlich die Be­ handlung von Flüchtlingen für ein Gebot der Menschlichkeit. Diese Patienten geben dem Be­ handler auch sehr viel zurück. Auch zahnmedizinisch kön­ nen wir dazulernen. Aufgrund der großen Erfolge bei Präven­ tion und Prophylaxe kommen bestimmte Erkrankungen bei uns ja so gut wie nicht mehr vor. Ich danke allen Kollegen, die sich dieser Herausforderung stellen. Der KZVB danke ich, dass sie die Kollegen früh­ zeitig darüber informiert hat, welche Leistungen sie erbringen können und wie sie abzurechnen sind. Die Positivliste ist eine enorme Vereinfa­ chung. Natürlich gibt es auch kultu­ relle Unterschiede zwischen Deutschland und den Herkunftslän­ dern der Flüchtlinge. Sei es bei der Rolle der Frau in der Gesellschaft oder bei der Termintreue. Aber ich bin mir sicher, dass die meisten Flüchtlinge sich schnell an unsere Gepflogenheit anpassen werden und so aus der Zusammenarbeit zwi­ schen Behandler und Patient die notwendige und bestmögliche Be­ handlung erfolgen kann. Vielen Dank für das Gespräch! DT Erstveröffentlichung ZWP Zahnbehandlungen für Flüchtlinge: „Ein Spagat zwischen Ethik und Monetik“ Prof. Dr. Dr. Mark Farmand, Nürnberg, sprach im Interview mit Antje Isbaner, Redaktionsleitung ZWP, über seine bisherigen Erfahrungen bei der zahnärztlichen Betreuung von Migranten und über klare gesetzliche Vorgaben in Bezug auf mögliche medizinische Leistungen und deren Finanzierung. PRAXISGESTALTUNG MIT ECHTEN, NATÜRLICH KONSERVIERTEN MOOSEN Online-Shop: www.dentocare.de 08102-7772888 oder info@dentocare.de Jetzt den aktuellen Katalog anfordern ANZEIGE Prof. Dr. Dr. Mark Farmand Infos zur Autorin Infos zu Prof. Dr. Dr. Farmand

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