30 NACHGEBOHRT No. 1/2021 · 30. Juni 2021 Unser Ziel war es, sich in erster Linie wieder um die Patienten zu kümmern und wirklich freiberuflich zu arbeiten. Natürlich waren auch die trüben, nasskalten Winter ein Grund mehr, die uns letztlich in Richtung Sonne ziehen ließen (lacht). Wie hast du dich auf dein neues Leben vor- bereitet? Für das Leben und Arbeiten auf der Insel war es mir wichtig, diese schon gut zu kennen und vor allem mit der kanarischen Mentalität klar- zukommen. Unsere letzten Urlaube vor der Aus- wanderung haben wir daher damit verbracht, im Sinne der Praxisgründung zu recherchieren. Grundvoraussetzung war natürlich die An- erkennung der Approbation meines Mannes und seine Zulassung, als Zahnarzt auf Teneriffa tätig sein zu dürfen. Solche Behördengänge in- klusive Übersetzungen nehmen sehr viel Zeit in Anspruch. Was die Vorbereitung zur Praxisgründung anbelangt, glaube ich, dass mir meine ganzen Ausbildungen (ZFA, ZMP, ZMV) von großem Vor- teil gewesen sind. Ebenso wichtig war für uns, ein gutes Netzwerk aufzubauen. Am wichtigsten war uns, ein zahntechnisches Labor auf der Insel zu finden, welches unserem Qualitätsstandard entspricht. Außerdem mussten wir herausfin- den, wie die behördlichen Auflagen sind. Wo bestelle ich die Dentalprodukte? Wer richtet uns die Zahnarztpraxis ein? Wer macht den Umbau entsprechend der Auflagen? gründung vielleicht doch nicht klappt … Zudem sind die Freunde in Deutschland und eben nicht auf Teneriffa. Alles ist anders, alles ist neu. Meine größte Hoffnung war ein Arbeitsleben freier von Bürokratie, wieder mehr Zeit für den Patienten und seine Bedürfnisse zu haben. Und vor allem wieder in allen Bereichen der Zahn- medizin tätig sein zu können – von Assistenz bis zur Verwaltung – in entspannter Atmosphäre. Überrascht hat mich zudem, dass es in Spa- nien keinen Hygieneplan gibt. Das Röntgen- gerät wird regelmäßig von der Strahlenschutz- behörde kontrolliert. Genauso verhält es sich mit den Feuerlöschern. Ein eigenständiges Austauschen, wenn die abgelaufen sind, gibt es nicht. Und so geht es weiter. Es ist sehr vie- les anders und darauf muss man sich erst mal einlassen. Auswandern bedarf viel Vorbereitungszeit, Recherche, Sprachkenntnis und eines guten finanziellen Polsters. Wie verhielt es sich mit der An- Wie verlief der Praxisstart auf der Insel? Konntest du bereits Spanisch? erkennung deiner deutschen Aus- Das typische Touri-Spanisch für Essen gehen und Shoppen konnten wir, ja. Aber als unsere Idee mit der Zahnarztpraxis auf Teneriffa immer mehr Formen annahm, habe ich großen Wert darauf gelegt, die Sprache so schnell wie möglich richtig zu erlernen. An der Hamburger Volks- hochschule absolvierten wir Intensivkurse und haben die ersten Jahre auf Teneriffa im Einzel- unterricht weiterhin intensiv Spanisch gelernt. Was waren deine größten Befürchtungen und Hoffnungen, als du nach Teneriffa kamst? Eine gut laufende Praxis aufzugeben und neu anzufangen, ist schon ein großer Schritt. Die Befürchtung, dass alles nicht so wird, wie er- hofft, ist natürlich dabei gewesen, der Sprache nicht mächtig genug zu sein, dass die Praxis- bildung in Spanien? Ich brauchte zum Glück keine Anerkennun- gen meiner Qualifikationen. Die Übersetzung zur ZMP war ausreichend, die Anerkennung zur ZMV nicht notwendig. Das Ausbildungssystem in Spa- nien weicht völlig vom deutschen ab, die Ausbil- dung muss z. B. selbst finanziert werden. Das Antikorruptionsgesetz in Spanien erlaubt zudem keine Anstellung von Familienangehö- rigen, da diese oft (es gab mehrere Skandale bei Politikern) nicht wirklich gearbeitet hatten. An sich richtig so, aber somit war ich dann auch keine Angestellte mehr. Nun bin ich „mitarbei- tende Ehefrau“ und werde als „autonomo“ (selbstständig) eingestuft, obwohl ich nachweis- lich arbeite. Also, Arbeit ist mein Hobby (lacht). Wie verlief der Start in der neuen Wahlheimat? Voller Euphorie kamen wir auf Teneriffa an und gingen direkt zur Praxis, um zu schauen, welche Fortschritte der Umbau in unserer Abwe- senheit genommen hatte. Der Schock war riesen- groß, denn wir fanden eine Großbaustelle vor. Es waren drei nervenaufreibende Monate mit Um- bau, Zollabwicklung der Praxiseinrichtung und der Abnahme durch die Gesundheitsbehörde. Durch unsere guten Vorbereitungen waren auf Anhieb alle Auflagen erfüllt und wir bekamen sofort die Genehmigung. Aber auch Geneh- migungen von weiteren Behörden waren noch notwendig. Hier lernt man wirklich, flexibel zu werden, wenn man nicht aufgeben will. Wir waren stolz und erleichtert, als wir end- lich alle Hürden zur Praxiseröffnung gemeistert hatten. Das Terminbuch füllte sich schneller als gedacht, allerdings fliegen die meisten im März/ April zurück nach Deutschland, um dort den Sommer zu verbringen. Ab Herbst hatten wir dann eine sehr gut lau- fende Praxis. Unsere Patienten sind zum größten Teil Deutschsprachige (Deutschland, Österreich, Schweiz) der älteren Generation, die ihren Le- bensabend auf Teneriffa verbringen. Aber auch Engländer, Italiener, Skandinavier und natürlich Einheimische kommen zu uns. Was gehört zu deinen täglichen Aufgaben in der Praxis? Das werde ich sehr oft gefragt. Kurz gesagt: „Ich mache alles, außer bohren.“ Dadurch, dass wir nur zu zweit arbeiten, ist für mich der Pra- xisalltag ein etwas anderer. Aber so wollte ich es ja auch. Gleichzeitig für Assistenz, Empfang mit Telefon, Abrechnung, Hygieneaufbereitung so- wie Prophylaxe da zu sein, erfordert ein gutes Praxis- und Zeitmanagement. Entsprechend oft haben wir unser Praxiskonzept den Gegebenhei- ten angepasst. So arbeiten wir nun zum Beispiel ohne Pause fünf bis sieben Stunden durchgehend, eine Mittagspause hat sich einfach nicht be- währt.