20 Service DENTAL TRIBUNE · D-A-CH Edition · Nr. 8/2019 Serviceunternehmen Zahnarztpraxis Das menschliche Verhalten im Umgang mit Patienten, Kollegen und Partnern. Von Dr. med. dent. Gabriele Marwinski, Bochum, Deutschland. Wie verhalten wir uns, wenn Patien- ten in unsere Praxis kommen? Ste- hen wir zur Begrüßung auf? Reichen wir dem Patienten die Hand? Lä- cheln wir? Oder machen wir gar nix, weil wir gerade so beschäftigt sind, und lassen den Patienten erst einmal warten? Überlegen wir uns vorher, wie wir uns verhalten, wenn ein Pa- tient in unsere Praxis kommt? Menschliches Verhalten – Cor- porate Behavior – ist das Verhalten gegenüber unseren Patienten, der Umgang mit unseren Netzwerkpart- nern, unser Teamgeist, die psycho- logische Betreuung (unsere Angst- ein Getränk reichen, einen Tee, ein Mineralwasser“, dann ist dies eine intentionale, zielgerichtete Hand- lung. Sie ist vorgeplant, durchdacht und genau so wollen wir es haben. Für uns fängt hier der kleine Unter- schied an. Mit unseren Handlungen charakterisieren wir unser Unter- nehmen und signalisieren nach außen: „So arbeiten wir hier.“ Patienten wie Freunde empfangen Corporate Behavior ist Hand- lung im Sinne unserer Praxisphilo- sophie. Wir überlassen es nicht dem ben Sie authentisch, orientieren Sie sich an Ihren Werten, denn nur so wächst etwas Unverwechselbares, Außergewöhnliches. Es sind die Handlungen die Sie, Ihr Team, Ihre Praxis einzigartig machen. Praxistipp: Schicken Sie Ihre Mitarbeiter in die Wüste Damit ist gemeint: Was wir noch nicht selbst können oder wissen oder kennenlernen möchten, müs- sen wir uns durch Anregungen von außen holen, und weil sie nicht zu uns kommen, gehen wir zu ihnen – eben in die Wüste – und sollten Mit unseren Handlungen charakter isieren wir unser Unternehmen und signalisieren nach außen: „So arbeiten wir hier.“ abbaustrategien). In unserem Pra- xiskonzept haben wir die angstfreie Behandlung für den Patienten ver- ankert. Jetzt geht es darum, im Sinne unserer Praxisphilosophie entspre- chende Handlungen zu erarbeiten, und zwar so, dass sie konsequent er- folgen und nicht nur, wenn jemand gerade gut gelaunt ist. Das geht aber nur, wenn man sich bewusst ist, wie Begrüßungsrituale erfolgen. Reaktion – Verhalten – zielgerichtete Handlung Prof. Dr. Hans-Peter Rosemeier, ehemaliger Direktor des Instituts für medizinische Psychologie an der FU Berlin, erklärte: Menschliches Verhalten bedingt eine Trias. Wenn eine Mitarbeiterin einen Patienten begrüßt und einfach nur die Augenbrauen hochzieht oder die Augen verdreht, Blickkontakt auf- nimmt oder nickt, dann ist dies eine kleine Reaktion. Wenn sie am Tele- fon die Begrüßungsformel „Zahn- arztpraxis XYZ“ runterleiert, dann ist dies ein Verhalten. Verhalten ist also ein fast unbe- wusster Prozess, eine automatische Reaktion. Wenn eine Mitarbeiterin aber sagt: „Herzlich willkommen in unserer Praxis, schön, dass Sie da sind. Darf ich Ihnen zur Begrüßung Zufall, wie ein Patient empfangen wird, wie wir uns verhalten, egal, ob am Telefon oder in der Praxis. Wir überlassen es nicht der jeweiligen Tagesform der Mitarbeiter, wie ein Patient, ein Kind begrüßt wird. Wir überlassen ebenfalls nicht dem Zu- fall, wie unsere Patienten verabschie- det werden. Deshalb entschlossen wir uns zu einer ganzen Reihe von Maßnahmen. Wir erstellten Checklisten, übten Ent- spannungstechniken ein, besuchten Seminare, andere Dienstleister und luden Experten ein, um dieses Ziel zu erreichen. Dass bei uns der Pa- tient im Mittelpunkt steht, muss ein- fach unmittelbar „rüberkommen“, alles Weitere können meine Mit- arbeiterinnen entsprechend ihrer Persönlichkeit gestalten. Handlun- gen zu defi nieren bedeutet in diesem Zusammenhang, unsere Patienten durch ein bewusstes positives Entge- genkommen immer wieder zu über- raschen. Zeit nehmen und zuhören Jede Praxis ist anders, und was zu der einen Praxis passt, muss in einer anderen noch lange nicht stimmen oder kann sich sogar ins Gegenteil umkehren. Hören Sie nicht auf Ratschläge anderer. Blei- mindestens mit einer Idee zurück- kommen. Von wem können wir ler- nen, wer macht es besser als wir? Wer ist meisterhaft in chirurgischer Assistenz (beispielsweise eine Spezia- listenpraxis ganz in der Nähe), was können wir von den Kieferorthopä- den lernen, wer zeigt uns den Um- gang mit dem Mikroskop usw.? Die Materialbestellung und die Vorratshaltung fristeten ein eher stiefmütterliches Dasein. Wir entschie- den uns zur Hospitation in unserer Stammapotheke. Seitdem macht sogar die Vorratshaltung Spaß und dass unsere Materialkosten im statis- tischen Vergleich (Statistisches Jahr- buch KZBV) erfreulich gesunken sind, ist ein angenehmer Neben- effekt, der unser Budget für Ser- viceleistungen erhöht. Mittlerweile bringen sogar un- sere Patienten neue Ideen mit, zum Beispiel von einer Japanreise die Idee, auf den Toiletten neben dem obligatorischen Desinfektionsspen- der auch Desinfektionstücher für Handys bereitzulegen. Von den Besten lernen – das NOMA Schauen Sie in andere Branchen und denken Sie Service-Design. In einer Branche sind die meisten Geschäftsmodelle identisch – eine Praxis ist wie die andere – und desto geringer sind ihre Chancen, sich von den Mitbewerbern zu unterscheiden. Das Ziel besteht darin, einen Plan zu entwickeln, der in seiner Konzeption und Ausführung beson- ders ist. Natürlich ist das Ziel nicht die Einzigartigkeit um ihrer selbst willen, sondern Ihre Praxis muss eine Individualität aufweisen, die von den Patienten geschätzt wird: • In welchem Maß weicht unser Praxiskonzept von dem ab, was in der Branche üblich ist? • Wie viele Differenzierungspunkte lassen sich identifi zieren? • Bieten diese Differenzierungs- punkte unseren Patienten einen Mehrwert? Gewöhnlich oder außergewöhnlich? Ein Konzept, ein innovatives Ge- schäftsmodell kann man sich nicht kaufen, es entsteht von innen heraus. Fragen Sie René Redzepi. Er ist einer der innovativsten und besten Köche weltweit. Sein Restaurant NOMA in Kopenhagen wurde viermal zum besten Restaurant der Welt gekürt. René Redzepi hat sich aus freien Stücken entschieden, „außergewöhn- lich“ zu sein. Das ist eine Entschei- dung, genau wie seine Entschei- dung, das NOMA zu schließen und es in der autonomen Kommune Christiania mit komplett neuem Konzept wieder zu eröffnen. Natürlich hatten auch wir Angst, unsere alte Praxis zu verlassen, um an dem neuen Standort unser Pra- xiskonzept weiterzuentwickeln. Im Juni 2015 war es so weit, wir feier- ten die neuen Praxisräume im Jahr- hunderthaus! Es geht um die Vision, die Idee Jeder ist sein eigener Visionär. Ein personalisiertes Marketingkon- zept kann man sich nicht bei irgend- einer auf Zahnärzte spezialisierten Marketingagentur kaufen. Hüten Sie sich vor Slogans, die nicht mit Inhal- ten gefüllt werden. Ein Konzept zu entwickeln, braucht ZEIT! Fragen Sie sich immer, wenn Sie zu Dentaltalk-Veranstaltungen ein- geladen werden, was soll mir hier ei- gentlich verkauft werden? Wenn Sie ehrliche Erfahrungsberichte hören möchten, sprechen Sie mit nieder- gelassenen Kollegen. Ein Praxiskonzept zu erarbeiten, verlangt Engagement, Kreativität, Ei- gensinn, Kraft im Umgang mit den täglichen Fehlschlägen und vor allem Mut. Sie müssen ihr eigener Zu- kunftsgestalter sein. Kommunikationstreffpunkt Ein Innovationsbeispiel aus un- serer neuen angstfreien Praxis ist der umgestaltete Empfangsbereich. Die Idee dazu kam mir während eines Dänemarkurlaubs in der Hjørring Bibliothek. Inspiriert von diesem Er- lebnis haben wir in den neuen Räu- men Grundrisse aufgeklebt, getestet, Rollenspiele durchgeführt und dann geplant. Unser Empfang ist heute ein of- fener Kommunikations- und Infor- mationstreffpunkt. Mehrere Mitar- beiterinnen können zeitgleich Pa- tienten begrüßen, verabschieden, Fra- gen klären, Termine vereinbaren, ohne dass es zur Kollision unter- schiedlicher Gruppen kommt. Es ist viel Platz, auf dem sich besonders Kinder frei bewegen können. Offen und doch diskret, mit einem Coffee- Treffpunkt für alle. Fazit Trauen Sie sich, über den Hori- zont hinauszublicken, das Unkon- ventionelle zu fi nden. Innovation entsteht durch eine neue Art der Be- trachtung, sie entwickelt sich auf der Suche nach neuen Erfahrungen und manchmal auch durch Fehler oder Missverständnisse. DT Kontakt Infos zur Autorin Dr. Gabriele Marwinski Alleestraße 80 44793 Bochum, Deutschland Tel.: +49 234 13233 g.marwinski@t-online.de www.angstfrei-zum-zahnarzt.de