8 Science DENTAL TRIBUNE · German Edition · Nr. 1/2019 „Leitlinien sind Handlungsempfehlungen auf wirklich höchstmöglicher qualitativer Ebene.“ Der neue DGI-Präsidenten Prof. Dr. Dr. Knut A. Grötz aus Wiesbaden stellt sich im Interview den Fragen von Georg Isbaner, Leitung Fachredaktion Print der OEMUS MEDIA AG. Prof. Grötz studierte ab 1981 Human- und Zahnmedizin sowie Philosophie (Grundstudium) an der Johannes Gutenberg Universi- tät Mainz. 1986 promovierte er zum Dr. med. dent. und 1992 zum Dr. med. Seit 1991 ist er Zahnarzt für Oralchirurgie, seit 1995 Fach- arzt für Mund-Kiefer-Gesichts- chirurgie. 1999 folgten Habilita- tion, Venia legendi sowie die Pri- vatdozentur und seit 2005 ist er apl. Professor an der Universität Mainz. Georg Isbaner: Sie sind vor weni - gen Wochen zum neuen DGI-Präsi- denten ernannt worden. Wo wollen Sie in den nächsten Monaten und Jahren Akzente setzen? Prof. Dr. Dr. Knut A. Grötz: Die geplante Akzentuierung verteilt sich auf unterschiedliche Bereiche. Wir werden viele Dinge, die die DGI schon seit vielen Jahren gut macht, weiter betreuen und ausbauen. Un- sere Kommunikation mit den Lan- desverbänden beispielsweise, unsere Nähe zu unseren 8.500 Mitgliedern. Aber es gibt natürlich auch Neues. Eine Neuerung, die schon in der letzten Legislaturperiode ihren Anfang genommen hat, ist die Stär- kung der Zusammenarbeit mit an- deren Fachgesellschaften. Wir haben jetzt eine Kooperation mit der Deut- schen Gesellschaft für Ästhetische Zahnmedizin geschlossen. Wir sind in enger Kommunikation mit der Deutschen Gesellschaft für Paro- deutung, weil wir unsere Indikation erweitert haben. Wenn es für uns heute eine Selbstverständlichkeit ist, bei Diabetikern zu implantieren, müssen wir uns fragen, wirklich bei allen? Wenn es eine offene Frage ist, dürfen wir bei Antiresorptiva-Pa- tienten (Bisphosphonate, Denosu- mab) implantieren, dann muss diese „Die Implantologie wird in der postgraduierten Aus- und Fort- bildung einen ganz zentralen Bestandteil darstellen, und zwar in ganz unterschiedlichen Formaten.“ dontologie, aber wir schauen auch über den Tellerrand. Wir sind in Ge- sprächen mit der Deutschen Gesell- schaft für Innere Medizin. Innere Medizin deshalb, weil wir einen Großteil systemisch erkrankter Pa- tienten haben, für die wir auch die Kommunikation mit den Internis- ten brauchen. Ein großes Thema sind die Leit- linien. Was waren aus Ihrer Sicht die wichtigsten Leitlinien der jün- geren Vergangenheit und was sind die Leitlinien, an denen sie mit Ihren Kollegen jetzt arbeiten wer- den? Gerade heute Morgen hielt ich einen Vortrag auf einer Gutachter- tagung zum Thema Leitlinien für Gutachter/Leitlinien für Behandler und dabei wurde mir wieder deut - lich, dass wir mit den Leitlinien wirk- lich auf höchstmöglicher qualita- tiver Ebene Handlungsempfehlun- gen haben, die sowohl die externe Evidenz/Studienlage als auch un- sere Expertise, unsere Erfahrung, un- sere Empirie widerspiegeln. Das ist der besondere Wert der Leitlinien. Leitlinien für die Implantologie haben gerade deshalb besondere Be- Leitlinie eine Beunruhigung, eine offene Frage beantworten, die die Kollegenschaft tatsächlich umtreibt. Zwei Leitlinienthemen, die wir zuletzt verabschieden konnten, habe ich nun schon benannt. Wei- tere Leitlinien, die jetzt vor Kurzem verabschiedet wurden, thematisie- ren das „Periimplantäre Weichge- websmanagement“ und eine weitere Leitlinie hat sich mit der skelettalen Verankerung in der Kieferorthopä- die beschäftigt. Man mag sich mal die Kieferorthopädie vor 30 Jahren vorstellen. Skelettale Verankerung gab es nicht, herausnehmbare Ap- paraturen oder festsitzende, die Zahn mit Zahn verbunden haben. Also auch da ist ein Paradigmen- wechsel im Gange: Und wir haben neue Leitlinienthemen, zum Bei- spiel zur Fragestellung „Immun- defizienz“. Wie ist es da mit der Implantologie? Leitlinien sind ein wichtiger wis- senschaftlicher Motor, der gerade Praxis und Wissenschaft, Wissen- schaft und Praxis eng miteinander verknüpft. Da spielt natürlich auch das Thema Fortbildung eine Rolle. Welche Be- Infos zu Prof. Dr. Dr. Grötz DGI-Präsident Prof. Dr. Dr. Knut A. Grötz (links) und Georg Isbaner, Leitung Fachredaktion Print der OEMUS MEDIA AG, trafen sich zum Interview in Wiesbaden. deutung hat Fortbildung in der Implantologie? Fortbildung ist ein ganz zentra- ler Teil und auch eine satzungsge- mäße Aufgabenstellung für die DGI, denn während des Studiums sind die traditionellen Fächer mit so vie- len Inhalten hinterlegt, dass man eben in der Approbationsordnung, die ja immer noch im Werden be- griffen ist, die Implantologie nicht mit breiterem Fundament wird ver- ankern können. Dafür reicht einfach die Zeit im Studium nicht. Das heißt, es wird auch weiterhin so sein, dass die Implantologie ein Querschnitts- fach ist, man diese Expertise aber eben erst nach der Approbation in voller Tiefe tatsächlich ausloten kann. Sie wird in der postgraduier- ten Aus- und Fortbildung einen ganz zentralen Bestandteil darstellen. Und dann gibt es unterschiedliche Formate. Zu diesen Formaten zählt die curriculäre Fortbildung, bei der in einem viele Module umfassenden Curriculum von einem Eingangs- modul – WK-Intro –, das die Diffe- renzialindikation zur Parodontolo- gie, zur Endodontie und zur Kiefer- orthopädie darlegt, über die fol- gibt es DGI Special. Zudem gibt es auch auf der Ebene der Landesver- bände und der Qualitätszirkel man- nigfaltige Fortbildungsangebote, so- dass im Grunde alle Inhalte trans- portiert werden, aber auch letztlich für den Geschmack jedes einzelnen Mitglieds etwas dabei ist. Lassen Sie uns noch einmal auf die Zusammenarbeit mit anderen Fachgesellschaften zurückkom- men. Wie aktiv ist die DGI hier und was bedeutet das auch im inter- nationalen Zusammenhang? Also die Kooperation mit der DG Paro kommt eigentlich aus einer Zeit, in der sich diese beiden Fächer ein bisschen als Konkurrenten wahr- genommen haben. Sie bildet ja im Grunde nur ab, dass die überlappen- den Inhalte immer mehr wurden und man immer mehr parodontolo- gische Kenntnisse in der Implanto- logie, aber auch implantologische Kenntnisse in der Parodontologie brauchte. Kein Zahnarzt geht heute in seine Praxis und sagt, heute bin ich Parodontologe oder heute bin ich Implantologe. Er hat einen Patienten vor sich, der ein komplexes Bild ab- „Auf der Ebene der Landesverbände und der Qualitätszirkel gibt es bereits mannigfaltige Fortbildungsangebote, sodass im Grunde alle Inhalte transportiert werden, aber auch letztlich für den Geschmack jedes einzelnen Mitglieds etwas dabei ist.“ genden Module, die unter schied - lichen Implantations- und Augmen- tationstechniken, aber dann eben auch die Aspekte des Backward Planning, der prothetischen Pla- nung, sozusagen ganz strukturiert an die meist sogar jung approbierten Kollegen herangetragen wird. Dane- ben gibt es ein Kontinuum, daneben bildet, und dieses soll insgesamt be- handelt werden. Kooperationen müssen wir ver- stärken. Es gibt jetzt eine erste ge- meinsame Zusammenarbeit von DGI und DG Paro auf internationa- ler Ebene mit einer parodontologi- schen Gesellschaft in Spanien, SEPA, die zwei Dinge macht, die sich von unseren Jahreskongressen unter- scheiden. Sie sind noch deutlich größer – also der Jahreskongress der DGI mit 1.500 Teilnehmer ist schon eine Nummer in Deutschland, die SEPA hat 4.000 Teilnehmer. Bei die- sen 4.000 Teilnehmern sind sehr, sehr viele Studierende und Jungap- probierte dabei, das heißt also, wir müssen uns überlegen, wohin wir uns denn eigentlich mit der DGI ent- wickeln wollen. Und da können wir uns durch die Kooperation einerseits auf europäischer Ebene internatio- nal entfalten, aber andererseits ein- fach auch voneinander lernen. Der demografische Wandel und die gewachsene Mundgesundheit stel- len neue Anforderungen an die Zahnmedizin. Welche Bedeutung hat das für die Implantologie? Das ist ein ganz vielschichtiger Prozess. Zum einen – der Zahnver- lust wird weniger. Den komplett Unbezahnten, der dann auch noch längere Zeit unbezahnt bleibt und dann eine großvolumige externe Augmentation braucht, sehen wir heute fast gar nicht mehr. Das heißt, wir implantieren bei immer mehr Menschen in anderen Indikationen. Das ist der eine Aspekt. Der zweite Aspekt: Der älter werdende Mensch ist auch eine Erfolgsgeschichte der modernen Medizin, das dürfen wir nicht vergessen. Aber dieses Älter- werdenkönnen hat mit viel mehr Allgemeinerkrankungen und viel mehr Begleitmedikation zu tun. Da sind wir wieder bei den kompromit- tierten Patienten und dessen Be- handlungsoptionen. Und ein dritter Aspekt: Wir müssen uns heute Ge- danken machen, ist ein Implantat für einen dann ganz alt werdenden Patienten mit stärkerer Kompro- mittierung, Stichwort Demenz, ein Handicap oder nicht? Im ersten Mo- ment denken wir: Oh, oh, was haben wir da getan? Was macht der Patient in seinem hohen Alter, was macht das Pflegepersonal? Aber wir müs- sen es anders betrachten. Eine teil- prothetische Versorgung mit einer Konusarbeit auf natürlichen Zäh- nen ist bei einem dementen Patien- ten, wenn er die Prothese nicht mehr trägt, für das Pflegepersonal eine gefährliche Waffe. Diese Pri- märkrone ist nicht entfernbar. Der Zahn müsste operativ entfernt wer- den, um sie, die Gefahr, zu beseiti- gen. Ganz anders beim Implantat. Das Im plantat ist rückbaubar, und zwar nicht operativ. Man kann alles von Implantaten entfernen, bis zur Verschlussschraube, die sozusa- gen beim Implantieren eingesetzt wurde, und man kann es dann schlafen legend zuheilen lassen. Das heißt, auch da die erste Plausibilität: Vielleicht stiften wir mit dem Wunsch, implantieren zu wollen, später einen nega tiven Rebound- Effekt? Ich denke nein. Die Implanto- logie ist auch für diese Phase des Lebens gut gewappnet. Herr Professor, vielen Dank für das Gespräch. DT