30 DU & ICH No. 2/2018 · 7. November 2018 „Mein Kopftuch abzulegen, wäre für mich ein Verlust meiner Individualität“ Meliha Cöl, 41 Jahre, kopftuchtragende ZFA bei Dr. Sena-Schulze in Oberhausen, im Gespräch mit Kerstin Oesterreich, Redaktion Zahnärztliche Assistenz. Gerade mit dem Thema Kopftuch sind häufi g offene Fragen, aber auch Klischees verbunden. Kritiker des Kopftuchs verweisen darauf, dass es Rückschritt und die Unter- drückung der Frau symbolisiert. Da- gegen halten viele muslimische Frauen, dass sie sich selbstbe- stimmt und aus freien Stücken für diese Form der Bekleidung ent- scheiden. Außerdem würde ich die Person bitten, Unterdrückung bzw. auch Freiheit zu defi nieren. Die Wissens- plattform Wikipedia defi niert „Un- terdrückung“ mit einer einem In- dividuum, einer Gesellschaft oder Menschengruppe leidvoll zugefüg- ten Erfahrung gezielter Willkür, Ge- walt und des Machtmissbrauchs – dazu zähle ich mich defi nitiv nicht. Ich trage mein Kopftuch mit Be- nie aufgegeben. Natürlich nicht. Erschwernisse assoziiere ich außer- dem nie mit meinem Kopftuch. Ich musste in der Vergangenheit ca. 150 Bewerbungen abschicken, da mir viele Unternehmen bzw. Praxen abgesagt haben. Allerdings habe ich die Schuld nie auf mein Kopf- tuch geschoben, denn vielleicht hatte ich als Einsteigerin noch keine ausreichenden Fähigkeiten und Er- „Der Mensch ist der Feind dessen, was er nicht weiß.“ Kerstin Oesterreich: Was bedeutet das Kopftuch für Sie persönlich? Meliha Cöl: Das Kopftuch gehört zu meinem Glauben. Für mich ist es so besonders, da es im Koran (Koran- vers 31 in Sure 24), dem einzigen hei- ligen Buch im Islam, als Pfl icht vor- geschrieben ist. Außerdem setze ich mit meinem Kopftuch ein feminis- tisches Zeichen, welches für mich sehr wichtig ist: Frauen sollten nicht auf das Äußere reduziert werden! Das Kopftuch hat meine Individua- lität positiv geprägt, da es z. B. mein Selbstbewusstsein gestärkt hat. Haben Sie schon mal überlegt, das Kopftuch abzunehmen? Nein, ich habe noch nie daran gedacht, mein Kopftuch abzule- gen, denn das wäre für mich ein Verlust meiner Individualität. wusstsein, vor allem aber mit Lei- denschaft und Wille. Daher werde ich nicht unterdrückt! Welche Vorurteile begegnen Ihnen im Alltag? Erfreulicherweise bin ich bis jetzt noch nie Vorurteilen aufgrund mei- nes Kopftuchs begegnet. Meiner Meinung nach liegt es auch ein wenig an meiner positiven Einstel- lung: Ich behandle Menschen so, wie ich behandelt werden möchte. Das ist mein Motto. Besonders Kopftuchkritikerinnen lassen das Argument der Freiwillig- keit nicht gelten. Was geben Sie zurück, wenn Ihnen jemand sagt, Sie seien unterdrückt? Ich würde fragen, was sie über den Islam wissen. Der Mensch ist der Feind dessen, was er nicht weiß. Hatten Sie während Ihrer Suche nach einer Anstellung das Gefühl, sich zwischen beruflichem Werde- gang und religiösem Leben ent- scheiden zu müssen? Es war nicht leicht, eine Arbeits- stelle zu fi nden, aber ich habe meine Hoffnung nie verloren. Und Was schätzen Sie an Ihrer Arbeit als ZFA am meisten? Ganz klar: dass die Patienten mich respektieren – so wie ich bin. Und das hat nichts mit meinem Kopftuch zu tun, sondern mit meiner Persön- lichkeit. Mir fällt es leicht, eine Ver- bindung zu den Patienten aufzu- bauen, und dadurch bekomme ich viele Komplimente zurück. Ein wei- terer Punkt ist, dass meine Chefi n mein äußeres Erscheinungsbild nicht verurteilt, sondern mir die Chance gegeben hat, mich durch meine inneren Werte zu beweisen. Was schätzen Sie besonders an Ih- rem Praxisteam? Die Teamarbeit mit meinen Kolle- ginnen und Kollegen klappt super, denn wir respektieren uns gegen- seitig. Ich habe ebenso ein gutes Verhältnis zu den Patientinnen und Patienten in unserer Praxis, denn sie merken durch meine Aura, dass sie immer herzlich willkommen sind. Wie beurteilen Sie das Verhältnis von aktiver Teilhabe am gesellschaft- lichen Leben und Kopftuch? Mein Kopftuch beeinfl usst in kei- ner Hinsicht mein gesellschaftliches Leben. Ich kann meine Freizeit, wie alle anderen Menschen auch, so gestalten, wie ich möchte. Am liebs- ten genieße ich die Zeit mit meiner Familie, weil es mir sehr gut tut. Wie sehen Ihre beruflichen und pri- vaten Zukunftspläne aus? Ich habe mir für die Zukunft zwei Prioritäten gesetzt: Zum einen möchte ich mich berufl ich weiter- bilden und erfolgreich sein, zum anderen auch ein glückliches Fa- milienleben führen. Natürlich geht hier meine Familie vor, denn sie ist meine größte Unterstützungs- quelle. Was würden Sie sich für den Um- gang mit anderen Menschen wün- schen? Da ich bereits respektiert und to- leriert werde, wie ich bin, habe ich in der Hinsicht keine besonderen Wünsche. Unabhängig von meiner religiösen Entscheidung wünsche ich mir jedoch Frieden. Es soll eine schö- nere Welt für unsere Kinder geben, denn sie sind unsere Zukunft und immer ein Geschenk! Vielen Dank für das Gespräch und alles Gute. fahrungen für diese Position in die- sem Beruf. Letztlich habe ich meinen momentanen Arbeitsplatz gefunden, an dem ich mich sehr wohlfühle. Seit wann arbeiten Sie in der Zahn- arztpraxis von Dr. Joanna Sena- Schulze und was genau sind Ihre täglichen Aufgaben? Ich arbeite jetzt seit drei Jahren bei Frau Dr. Sena-Schulze als Zahnmedizi- nische Fachangestellte im Bereich der Stuhlassistenz. Dort assistiere ich bei Implantationen, Wurzelkanalbehand- lungen, chirurgischen Behandlungen und der Prophylaxe. Außerdem erle- dige ich kleine Labor arbeiten, wie etwa das Ausgießen und Ausarbeiten eines Provisoriums, kümmere mich um die Zahnersatzreinigung und bin zuständig für das Röntgen, die In- strumentenvorbereitung und alle Tä- tigkeiten im Bereich der Sterilisation. Die Berufsunfähigkeit von Zahnmedizinischen Fachangestellten Rechtsanwalt Michael Lennartz erläutert eine aktuelle Entscheidung des Landessozialgerichts (LSG) Sachsen-Anhalt in Hinblick auf die BU-Rente einer ZFA. Der Fall Im August 2010 beantragte die ZFA eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Zur Begründung gab sie an, dass sie seit 2002 wegen akuter Schmerzen und Unbeweg- lichkeit (Arthrose) des rechten Sprung- gelenks, verbunden mit erheblich verminderter Belastbarkeit, erwerbs- gemindert sei. Zudem leide sie nach einem Unfall unter Schmerzen sowie Schwellungen im Bereich des Gelenks. Der Antrag der ZFA auf Rente wegen verminderter Erwerbstätig- keit wurde abgelehnt, wobei auch die Klage vor dem Sozialgericht Magdeburg erfolglos war. Die Entscheidung Nach Auffassung des LSG Sach- sen-Anhalt hatte die Vorinstanz die Klage der ZFA zu Recht abgelehnt. Berufsunfähig seien nach § 240 Abs. 2 Satz 1 SGB VI Versicherte, deren Er- werbsfähigkeit wegen Krank heit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Ver- sicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicher- ten zu beurteilen ist, umfasse alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufs tätigkeit zu- gemutet werden können. Zumutbar sei stets eine Tätigkeit, für die der Versicherte mit Erfolg ausgebildet oder umgeschult worden ist. Be- rufsunfähig sei nicht, wer eine zu- mutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; da- bei sei die jeweilige Arbeitsmarkt- lage nicht zu berücksichtigen. Verweisung administrativer Tätigkeiten zumutbar? Vorliegend sei unter Berücksich- tigung dieser Grundsätze auf die Tätigkeit als Zahnarzthelferin bzw. Zahnmedizinische Fachangestellte abzustellen. Ob sie diesen Beruf an- gesichts ihrer Gesundheitsstörun- gen im rechten Sprunggelenk noch ausüben könne, sei zweifelhaft. Denn einerseits sei die Assistenz- tätigkeit am Zahnarztstuhl wegen der eingeschränkten Geh- und Stehfähigkeit durch die Versteifung des rechten oberen Sprunggelenks eingeschränkt. Andererseits habe sie in dem Beruf der Zahnmedi- zinischen Fachangestellten trotz der im Dezember 1995 erlittenen kom- plexen Fußverletzung anschließend noch bis ins Jahr 2011, also 16 Jahre lang, gearbeitet. Zudem hatte sie eine geraume Zeit die Möglich- keit, eine eher leidensgerechte Tätigkeit bei einem Zahnarzt zu verrichten (teilweise Tätigkeit in Anmeldung bzw. im Abrechnungs- bereich). Die Verweisungstätigkeit einer ZFA im administrativen Bereich (Anmel- dung, Büro und Verwaltung bei großen Zahnarztpraxen bzw. Zu- sammenschlüssen mehrerer Praxen) sei gesundheitlich und sozial zu- mutbar. Die Revision wurde nicht zugelassen. Kontakt RA Michael Lennartz lennmed.de Rechtsanwälte Am Hofgarten 3 53113 Bonn Tel.: +49 228 249944-0 info@lennmed.de http://lennmed.de Infos zum Autor