6 Politics DENTAL TRIBUNE · Austrian Edition · Nr. 7/2018 „Österreich auf den Zahn gefühlt!“ Ein Patientenratgeber zum Thema Zahnmedizin gibt hilfreiche, aber auch kritische Einblicke in die österreichische Dentallandschaft. Dental Tribune Österreich im Gespräch mit einem der Autoren des Buches, DDr. Gerald Jahl, Eggenburg. neue Möglichkeiten. Viele Patienten sind umgekehrt viel qualitätsbewuss- ter als noch vor einigen Jahren, diese Gegenentwicklung zu „Geiz ist geil“ ist auch als Patiententyp vorhanden. Das bedeutet, dass man die unter- schiedlichsten Patienten heute ein- fach anders und intensiver beraten muss und auch sollte, da sich auch zum Beispiel die prothetischen Mög- lichkeiten durch die Implantologie massiv geändert haben. Patienten vergleichen heutzutage vermehrt Heilkostenpläne, holen weitere Mei- nungen ein und entscheiden erst dann, oft nach finanziellen Gesichts- punkten, aber andere auch nach Sympathie oder nach Bewertungen auf Ärzteportalen. Hat sich die Arzt-Patienten-Bezie- hung in den letzten Jahren verän- dert? Ja, das belegen Studien über Arztwechsel und Patiententreue. Mehr und längere Gespräche sind notwendig und auch vorgeschrie- ben, um der notwendigen Aufklä- rung über die Vielzahl an verschie- denen Möglichkeiten in der zahn- medizinischen Therapie Genüge zu tun. Und dieses Gespräch ist wich- tige ärztliche Tätigkeit, die heutzu- tage einfach mehr Zeit in Anspruch nimmt. Und dieser Faktor Zeit für eben die notwendigen Gespräche ist nun einfach das Problem. Der Wahlarzt bekommt für diese Bera- tungszeit Geld, das ist fair und ge- recht. In der Kassenmedizin schaut es leider ganz anders aus! Wie viel Zeit steht dem Zahnarzt zur Verfü- gung, den aufgeregten, ängstlichen, © vectorfusionart/Shutterstock.com Dr. Gernot Österreicher (links) und DDr. Gerald Jahl. Gesundheitspoli- tisch haben sich ei- nige Ihrer Forderun- gen für die Zahnme- dizin verwirklicht, beispielsweise das Amalgamverbot für Kinder und Jugendliche oder die Anpas- sung der Krankenkassenleistungen für Zahnärzte in allen Bundes- ländern. Welcher Missstand sollte Ihrer Meinung nach als Nächstes angegangen werden? Die meisten unserer Forderun- gen waren und sind ja nicht neu. Was in Zukunft noch in Österreich pas- sieren sollte? Es sollte eine Harmoni- sierung der unterschiedlichen Kran- kenkassen geben, weil es einfach nicht fair und sozial ist, dass bei he- rausnehmbarem Zahnersatz unter- schiedliche Selbstbehalte bezahlt dontitis aber auch entsprechend honoriert werden. Generell sollte der Kassenvertrag mit seinen Leis- tungen an die moderne und nun auch digitale Zahnmedizin ange- passt werden, da sich seit 1956 doch einiges getan hat, was mittlerweile der Rechnungshof bestätigt. Das andere wichtige Thema, ein ganz neuer Ansatz, über das aber noch niemand spricht, ist die soziale Implantologie, vor allem im zahn- losen Unterkiefer, wo Patienten, wie wir alle wissen, große Probleme haben. Hier sollte es, bei gegebener medizinischer Indikation, über die Krankenkassa möglich sein, den Menschen, die finanziell dazu nicht in der Lage sind, mit zwei Implanta- ten zu helfen. Allgemeinmedizinisch betrachtet, wäre das sehr wichtig, da Ansatz, weil wir eben auch, bei aller Wertschätzung unseren Kindern ge- genüber, an die ältere Generation denken müssen! Und: Es muss uns allen zu denken geben, dass mit dem System in der Zahnmedizin etwas nicht stimmen kann, wenn man fest- gestellt hat, dass die Gesamtkosten der zahnärztlichen Versorgung in Österreich nur noch zu weniger als der Hälfte aus dem Krankenkassen- topf kommen, also mehr als 50 Pro- zent mittlerweile von Pa tienten pri- vat bezahlt werden müssen, derzeit circa eine Milliarde Euro pro Jahr. Das Krankenkassensystem muss sich einfach neu erfinden, weil es so nicht mehr zeitgemäß und vor allem aber auch unsozial geworden ist. Die Zahnmedizin darf nicht zur reinen Finanzmedizin verkommen! „Generell sollte der Kassenvertrag mit seinen Leistungen an die moderne und nun auch digitale Zahnmedizin angepasst werden.“ werden müssen. Genau hier trifft es nämlich die Personen, die sich aus finanziellen Gründen ohnehin mit einfachen prothetischen Lösungen zufriedengeben müssen. Die „Gra- tismundhygiene“ für Kinder ist im Ansatz schon gut, aber wir sollten genau diese Mundhygiene auch den erwachsenen Bürgern zukommen lassen, zumal das die Personen sind, die ja auch die Beiträge bezahlen. Die Parodontitistherapie sollte im Leistungskatalog der Krankenkassen Berücksichtigung finden, weil ja Prophylaxe der beste Weg wäre, um Parodontitis samt den Folgen, die alle wieder dem System und Patien- ten Geld kosten, vorzubeugen. Kas- senzahnärzte müssen für Beratung, Diagnose und Therapie der Paro- es in Österreich leider viele Men- schen gibt, die sich solch eine einfa- che, aber wichtige Behandlung ein- fach nicht leisten können. Am man- gelnden Geld in den Krankenkassen kann es nicht liegen, da beispiels- weise Geld für neue Hüften und Kniegelenke im Übermaß vorhan- den zu sein scheint. Und umgekehrt sind wir das der älteren Generation ja auch schuldig, weil es unfair ist, wenn Kinder zur selben Zeit eine Gratiszahnspange circa im gleichen Gegenwert kostenlos erhalten. Mit dem Topf von 80 Mio. Euro, der für die Gratiszahnspange zur Verfügung steht, könnte man mehr als 20.000 bedürftigen Menschen mit zwei Implantaten und zwei Locatoren helfen. Das wäre einmal ein neuer Wo liegen Ihrer Meinung nach die Defizite in der täglichen Kommu- nikation mit Patienten? Das Arzt-Patienten-Gespräch ist die Basis der Beziehung und sicher der Schlüssel zum therapeutischen Erfolg. Durch das Miteinanderreden kommen die Leute zusammen. Heute gibt es ohne Zweifel Kommunika- tionsdefizite, aber auch die Gesell- schaft im Allgemeinen und die Zahn- medizin im Besonderen haben sich verändert. Zusätzlich gibt es „den klassischen Patienten“ nicht mehr. Es gibt eine Vielzahl an verschiedenen Patiententypen. Patienten sind heut- zutage mehrheitlich informierter, kritischer, anspruchsvoller, aber auch fordernder geworden, und das Inter- net eröffnet ihnen zusätzlich ganz oft älteren, überforderten, manch- mal kritischen, oft auch nicht auf- nahmefähigen Patienten aufzuklä- ren und wirklich kompetent zu bera- ten? In einer Kassenordination ist all das nicht oder kaum mit dem lau- fenden Betrieb zu vereinbaren. Und die Zahnärzte wissen auch, dass die meisten Patienten noch weitere Mei- nungen einholen werden oder dass eben diese vielleicht halbstündige Beratung bereits die dritte Informa- tionsrunde beim dritten Zahnarzt war. Deshalb muss diese investierte Zeit und das vermittelte Know-how auch zwingend finanziell abgegolten werden. Nicht nur Psychiater sollten für das Reden bezahlt werden. Vielen Dank für das Gespräch. DT Gesunde Zähne haben auch in der Alpenrepublik ihren Preis. Österrei- cher geben fast eine Milliarde Euro für zahnmedizinische Leistungen aus, mehr als die Hälfte muss privat bezahlt werden. Ein im Frühjahr die- ses Jahres erschienener Bericht des Rechnungshofs übt Kritik an den veralteten, aus dem Jahre 1956 stam- menden Leistungsfestlegungen. Die Autoren, Dr. Viviane Öster- reicher, Dr. Gernot Österreicher und DDr. Gerald Jahl, haben sich über die oft unbefriedigende Situation Gedanken gemacht, geben aber auch Hinweise, wie das bestehende Sys- tem verbessert werden kann. Dental Tribune: Welche Rückmel- dungen haben Sie und Ihre Co-Au- toren in Bezug auf Ihren Patienten- ratgeber erhalten? Gab es Themen, die besonders viel Anklang fanden oder Kritik hervorriefen? DDr. Gerald Jahl: In der Ordi- nation stand ehrliches Lob für die verständliche Formulierung diverser zahnärztlicher Belange im Vorder- grund. Das Buch gibt ja auch Ant- worten auf die häufigsten Fragen und häufigsten Irrtümer seitens der Patienten, gibt ihnen Tipps zum Ver- halten beim Zahnarzt, ohne ins „Fachchinesische“ abzudriften, eben ein Buch von Menschen für Patien- ten und bewusst nicht von Zahnärz- ten für Patienten. Das Thema „Kas- senmedizin“ hat sicher am meisten für Diskussionen gesorgt, aber auch „Zahnspange“ und „Kostenfaktor bei Zahnimplantaten“ fanden viel Anklang. Prinzipiell war aber zu be- obachten, dass viele Patienten viel informierter, weil belesen, zu einer Beratung zu uns kamen und kom- men, und das spart uns als Behand- ler auch etwas Zeit, weil einfach eine gewisse Vorinformation vorhanden ist. Informierte Patienten sind ein- fach mündige Patienten, und das entspricht dem heutigen Zeitgeist. Deshalb haben wir auch dieses Buch geschrieben. Konkrete Kritik gab es nicht, zumindest keine mir be- kannte.