30 DU & ICH No. 1/2018 · 13. Juni 2018 „Wir können nicht hören lernen, diesen Schritt müssen die Hörenden auf uns zugehen“ Die Inklusion von gehörlosen Menschen in den medizinischen Bereich liegt Zahnärztin Dr. Marianela von Schuler Alarcón besonders am Herzen. Regelmäßig bildet sie in ihrer Hamburger Praxis mit Pilotcharakter Gehörlose zu ZFAs aus. Ein Interview mit ihren tauben Mitarbeiterinnen Vanessa Wadewitz, Kinga Ostrowski und Carina-Laura Mechela. Warum haben Sie sich für den Beruf der Zahnmedizinischen Fachange- stellten entschieden? Kinga Ostrowski: Es war schon immer mein Wunsch, im zahnmedi- zinischen Bereich zu arbeiten. Aber ich machte mir damals keine gro- ßen Hoffnungen, denn für Gehör- lose war das nicht möglich. Als ich dann erfuhr, dass Marianela von Schuler Alarcón Azubis suchte, habe ich mich sofort bei ihr beworben. Vanessa Wadewitz: Eigentlich war ZFA nicht mein Traumberuf, aber die Praxis von Frau von Schuler Alarcón ist eine Sonderpraxis und fördert die barrierefreie Kommuni- kation. Während eines zweitägigen Praktikums hat mir das Berufsbild dann sehr gefallen. Vorher wäre ich aufgrund der Kommunikationsbar- riere niemals auf das Arbeitsumfeld Praxis für mich gekommen. Hatten Sie während Ihrer Suche nach einer Ausbildungs-/Arbeits- stelle das Gefühl, durch Ihre Gehör- losigkeit in Ihrem beruflichen Wer- degang beeinträchtigt zu sein? Carina-Laura Mechela: Ich hatte mir eigentlich eine Ausbil- dung als Erzieherin gewünscht, aber leider wurde es abgelehnt. Letztlich habe ich viele Bewerbun- gen für irgendwelche Berufe ge- schrieben, aber es kamen nur Absa- gen, da die meisten einfach nicht wissen, wie sie mit Hörgeschädig- ten umgehen sollen. Kinga Ostrowski: Das Telefo- nieren können wurde oft als Bedin- gung genannt. Eigentlich ist das un- sinnig, denn die Haupttätigkeit ist ja nicht das Telefonieren. Außerdem hätte es ja die Möglichkeit gege- ben, eine Arbeitsassistenz zu be- kommen, die mich dann eben bei Für jedes neue Material oder Produkt in der Zahnarztpraxis wird ein neuer Ausdruck in Ge bärdensprache entwickelt – und kontinuierlich von Dr. Marianela von Schuler Alarcón in einem Gebärden-Wörterbuch zusammengefasst. mussten viel Aufklärungs- und Überzeugungsarbeit im Vorfeld leisten, damit sich alle damit wohl- fühlen konnten und wussten, was auf sie zukam. In der Anfangsphase war es etwas chaotisch, aber das legte sich nach kurzer Zeit. Vanessa Wadewitz: Nach dem Unterricht bekamen wir nachträg- lich Kopien, da die anderen Schüler während des Unterrichts parallel hören und schreiben konnten. Wir Kinga Ostrowski: Mir gefällt es vor allem, Dinge selbstständig zu organisieren. Ich bin Betreuer für die neuen hörgeschädigten Azubis, kümmere mich um das Team, plane Termine. Als Marianela beschlossen hat, eine Person aus der Praxis für sie als Vertretung auszuwählen, habe ich mich noch mehr mit der Praxisorganisation beschäftigt und zusätzliche Aufgaben übernom- men wie Urlaubsvertretung, Ar- geben sich Mühe und fragen immer wieder nach, wie man gebärdet. Zum Glück verstehe ich mich mit all meinen Kollegen sehr gut und wir verbringen auch außerhalb der Ar- beit gerne Zeit miteinander. Welche Vorurteile begegnen Ihnen im Alltag? Kinga Ostrowski: Wenn ich mich unterwegs in der Öffentlichkeit in Gebärden unterhalte, gibt es immer einige Menschen die sich über uns lustig machen, uns anstarren, über uns lachen, uns nachäffen. Manch- mal ist es nur jugendliche Dumm- heit, aber es betrifft auch Erwach- sene. Eine Begebenheit werde ich nie vergessen: Eine Patientin kam in die Praxis, musterte mich immer wieder und fragte dann den Zahn- arzt, ob ich hier wirklich arbeite. Der bejahte und daraufhin meinte sie: Wie kann sie das denn lernen? Dabei hatte ich meine Ausbildung bereits erfolgreich abgeschlossen. Die Pa- tientin dachte tatsächlich, ich wäre gehörlos und damit dumm! Das hat mich getroffen. Vanessa Wadewitz: Viele Hö- rende denken leider, wir sind un- terstes Niveau, da sie noch auf dem alten Stand sind, dass Gehörlose dumm sind. Das kommt daher, dass im Bildungsbereich keine Gebär- densprache verwendet wurde und zum großen Teil bis heute nicht ver- wendet wird. Deshalb bekommen wir oft nur ganz einfache Jobs, ob- wohl wir viel mehr erreichen wollen, aber wegen der Kommunikations- barriere sind wir oft stark einge- schränkt. Wie verständigen Sie sich mit Hö- renden, die nicht der Gebärden- sprache mächtig sind? V.l.: Kinga Ostrokwsi, Carina-Laura Mechela und Vanessa Wadewitz. derlei Dingen unterstützt hätte. Die Einsicht bei den Arbeitgebern war aber leider nicht vorhanden. Gehörlosen können das nicht, son- dern müssen genau auf die Gebär- densprachdolmetscher achten. Wie verlief der Besuch der Berufs- schule? Carina-Laura Mechela: Der An- fang war holprig, weil die Lehrerin- nen keinerlei Erfahrung im Um- g ang mit gehörlosen Schülerinnen hatten. Kinga Ostrowski: Man muss sich vorstellen, wir waren die aller- ersten Hörgeschädigten in diesem Ausbildungszweig überhaupt. Wir Was mögen Sie an Ihrer Arbeit in der Praxis besonders? Vanessa Wadewitz: Ich arbeite gerne in der Verwaltung, lerne immer wieder was Neues. Zu mei- nen Aufgaben gehört die Stuhl- assistenz, die Patientenbetreuung und Abformung, das Herstellen von Provisorien, das Abrechnungs- wesen sowie Zahlungseingänge und -ausgänge und vieles mehr. beitseinsatzplanung usw. Das sind Aufgaben, die ich wirklich mag und gut kann. Besonders wichtig ist es mir immer, andere Kolleginnen dort zu unterstützen, wo gerade Bedarf ist. Was schätzen Sie an Ihrem Praxis- team am meisten? Carina-Laura Mechela: Mein Praxisteam ist für mich wie Familie, denn alle können gut gebärden. Vanessa Wadewitz: Einige sind vielleicht noch nicht so professio- nell, aber das macht nichts, denn sie Carina-Laura Mechela: Oft schreibe ich die Information den Hörenden auf einen Zettel. Manch- mal hole ich auch eine hörende Ar- beitskollegin, und sie ist dann für mich die „Dolmetscherin”. Vanessa Wadewitz: Ich kann etwas sprechen. Wenn ich meine Stimme verwende, führt das leider dazu, dass die Patienten schnell meine Gehörlosigkeit vergessen und zu schnell sprechen. Ich bitte daher darum, deutlich und nicht zu schnell zu sprechen, so kann ich von den Lippen ablesen und gleichzeitig Steckbrief Zahnärztin Dr. Marianela von Schuler Alarcón eröffnete 2013 im Herzen Hamburgs eine eigene Modellpraxis, in der sieben gehörlose und sieben hörende Mitarbeiter sowohl gehörlose als auch hörende Pa tienten behandeln. Diese nehmen Anfahrtswege von bis zu 400 km in Kauf und profi tie- ren genauso wie die Mitarbei- terinnen vom inklusiven Kon- zept. Wie die gebürtige Vene- zolanerin zur Gebärdenspra- che kam, welche Hürden es zu meistern galt und wie sie mit ihrem Verein InDeafMed aktiv dazu beiträgt, weitere Praxen in ganz Deutschland von der Ausbildung und barrierefreien Behandlung gehörloser Men- schen zu über- zeugen, erzählt sie im ausführli- chen Interview auf ZWP online (bitte nebenste- henden QR-Code scannen). Dr. Marianela von Schuler Interview Alarcón hören – nebenbei versuche ich dann natürlich, die Wörter zu verknüpfen. Welche Fragen von Außenstehen- den nerven Sie am meisten? Vanessa Wadewitz: „Haben Sie einen Führerschein?“ – Diese ständig gleiche Frage nervt mich. Gehörlose haben nämlich sehr gute visuelle Fä- higkeiten. Oder: „Du kannst doch keine Musik hören?!“ – „Doch”, sage ich dann, „denn ich spüre z. B. den Rhythmus, die Vibration, den Bass. Nur laut muss sie sein” (lacht). Kinga Ostrowski: Der Begriff „taubstumm“ fällt leider viel zu oft. Das vermittelt das Bild, dass wir keine Sprache hätten und dass wir stumm wären. Das ist so nicht richtig. Der Begriff ist diskriminierend und abfäl- lig. Ansonsten bin ich offen und man kann mich alles fragen. Wie begegnen Sie Menschen, die Sie aufgrund Ihrer Taubheit anders behandeln? Carina-Laura Mechela: Am An- fang verhalten sich hörende Men- schen mir gegenüber oft komisch. Meine Arbeitskollegen erklären den Patienten dann meine Taubheit, damit die hörenden Menschen ver- stehen können, dass ich sie sehr wohl behandeln kann. Vanessa Wadewitz: Meistens schaut mich die Person lustigerweise mit einer blöden Mimik an. Ich kläre dann mit meiner Körpersprache auf, wie man mit mir umgehen kann. Oft passt sich mein Gegenüber meiner Körpersprache an und wird lockerer. Haben Sie auch schon bedrohliche Situationen erlebt? Kinga Ostrowski: Gefährliche Si- tuationen habe ich als solches noch