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Dental Tribune Austrian Edition No. 4, 2018

6 Science DENTAL TRIBUNE · Austrian Edition · Nr. 4/2018 CMD-Kieler-Konzept diagnostikgesteuerte Therapie (dgT) Die Vorgehensweise ist interdisziplinär. Von Prof. Dr. Helge Fischer-Brandies, Marc-Daniel Asche und Christian Wunderlich, Kiel, Deutschland. Der vorliegende Artikel erklärt die Arbeitsstruktur des CMD-Kie- ler-Konzeptes. Das Konzept basiert auf einer interdisziplinären Dia- gnostik und Therapie der cranio- mandibulären Dysfunktion(CMD). Die Vorgehensweise ist eine dia- gnostikgesteuerte Therapie (dgT), die den beschwerde- und therapie- relevanten Befund der Erkrankung in den Vordergrund der klinischen Arbeitsweise setzt. Der organspezi- fische Befund wird mittels Schiene und manueller Therapie behandelt. Die Rekonstruktion der Okklusion ist häufig für die Stabilisierung des Ergebnisses erforderlich. Das indi- viduelle Optimum ist unabhängig von der strukturellen Schädigung der Kiefergelenke erreicht, wenn der Patient weitestgehend beschwerde- frei ist. Das Ergebnis wird langfris- tig über fallbezogene individuelle Therapiemaßnahmen stabilisiert. Die Belastung der Kiefergelenke wird dadurch auf ein physiologi- sches Niveau reduziert und ange- passt. Einführung Das CMD-Kieler-Konzept ist ein seit mehreren Jahren bestehen- des Therapieschema für Patienten, die an einer CMD erkrankt sind. Die Vorgehensweise ist interdiszi- plinär und über eine diagnostik- gesteuerte Therapie definiert. Die CMD wird in den letzten Jahren zunehmend als komplexes Krankheitsbild erkannt. Ätiologisch und pathogenetisch werden okklu- sale und neuromuskuläre Störfak- toren diskutiert. Neurovegetative und psychoemotionale Komponente bilden nicht selten den biopsycho- sozialen Anteil des pathophysio - logischen Geschehens. Die Beteili- gung der Halswirbelsäule wird mittlerweile grundsätzlich in die klinische Argumentation einbezo- gen (de Laat et al. 1998, Clark et al. 1987). Eine einheitliche Diagnostik und Therapieleitlinie lässt sich auf- grund der Individualität des Symp- tomenkomplexes bislang nicht auf einem evidenzbasierten Level eta- blieren. Ältere monokausale Therapie- ansätze können der Komplexität der Erkrankung oft nicht ausreichend gerecht werden. Ein für den Pa- CMD-Kieler-Konzept dgT Team der Behandler Gnathologe MT/Osteopath andere Fachrichtungen Anamnese Basisdiagnostik ggf. Vorstellung • HNO • Augenarzt • Internist • Orthopäde • MKG ggf. Therapie Konsil der Behandler und Vorbehandler diagnostische Therapie beschwerde- und therapierelevanter Befund Konsil der Behandler interdisziplinäres Therapiekonzept interdisziplinäre Therapie Zwischen-/Abschlussbefund Reevaluation der Behandler Interdisziplinäre Behandlungsziele erreicht? Schmerzambulanz Fragebogen Anamnese • Schmerztherapeut • Neurologe • Psychologe ggf. Therapie www.kieler-konzept.de Abb. 1: Übersicht Kieler-Konzept dgT. tienten erträgliches Ergebnis bleibt nicht selten unerreicht. Die Entste- hung des CMD-Kieler-Konzeptes basiert auf der klinischen Erkennt- nis, dass das Therapieresultat nicht unerheblich davon abhängt, wie gut ein interdisziplinäres Team von Be- handlern eine diagnostikgesteuerte Behandlung durchführt und steu- ert. Das sog. Rumpfteam wird gebil- det aus Gnathologe, Manualthera- peut und Osteopath. Das erweiterte Team besteht aus Kieferchirurg, Kieferorthopäde, Schmerztherapeut, Orthopäde, Neurologe, HNO-Arzt und gegebenenfalls einer medizini- schen Vertrauensperson des Patien- ten, z. B. dem Hausarzt. Methode Die Untersuchung beginnt mit der Anamnese in Form eines freien Interviews. Ein standardisierter Fragebogen „CMD – ICF“ wird im Laufe der Untersuchung ergänzend angewandt. Die International Clas- sification of Functioning (ICF) ist ein von der WHO entwickeltes Tool zur genauen Bestimmung und Co- dierung der gesundheitlichen Be- einträchtigung. Das Kieler-Konzept verwendet eine für die CMD-Er- krankung angepasste Vorlage. Die international wie national üblichen Diagnostik-Tools für CMD stellen der Helkimo-Index und in jüng s - ter Zeit verstärkt die Research Dia - g nostic Criteria for Temporoman- dibular Disorders (RDC/TMD). Die drei wesentlichen Diagnose- gruppen sind myofasziale Schmer- zen, Diskusverlagerungen mit und ohne Reposition bzw. Limitation der Kieferfunktion und die Erkran- kungen des Kiefergelenks (Helkimo 1974, Dworkin et al. 1992). Die Anamnese umfasst von Beginn an nicht nur funktions- und struktur- bezogene Fragen, sondern auch Per- sonen- und umweltbezogene Kon- textfaktoren, die Aufschluss geben über biopsychosoziale Aspekte des Krankheits geschehens (WHO). Die Basisdiagnostik beinhaltet eine Un- tersuchung der Okklusion, die Kie- fergelenk-Funktionsanalyse sowie die Diagnostik des neuromuskulä- ren Systems. Manuelle Therapie und Osteopathie Die osteopathische und ma- nualtherapeutische sowie gnatho- logische diagnostische Untersu- chung bauen auf die bereits vorlie- genden Befunde auf und ermöglicht eine effiziente interdisziplinäre Therapieplanung. Eine der wesent- lichen Aufgaben der manuellen Therapie ist die Wiederherstellung der neuromuskulären Funktion zwischen der Funktionseinheit Kie- fer und der Wirbelsäule, insbeson- dere der Halswirbelsäule (Schindler et al. 2007). Neuromuskuläre Fehl- steuerung begünstigt die Entste- hung craniofazialer und myofaszia- ler Schmerzen. Eine exakte Dia- gnostik ist eine grundlegende Vor- aussetzung, eine CMD-Erkrankung erfolgreich zu therapieren (Türp et al. 2006, Rammelsberg et al. 2003). Kiefergelenk-MR Ein MR-Kiefergelenk ist häufig eine notwendige Ergänzung der kli- nischen Diagnostik. Strukturelle Veränderungen der Kiefergelenke korrespondieren nicht immer mit der klinischen Symptomatik und werden bei der Kiefergelenk-Funk- tionsanalyse nicht oder nicht voll- ständig erkannt. So kann eine ven- trale Diskusverlagerung oder eine fortgeschrittene Arthrose des Kon- dylus klinisch das dafür unspezifi- sche Symptom Schmerz zeigen oder asymptomatisch bleiben. Technisch wird bei geschlossenem Mund eine T1- und bei offenem Mund eine T2-Gewichtung angefertigt. Diagnostische CMD-Therapie Der jetzt vorliegende organspe- zifische Befund wird zunächst mit- tels Schienentherapie und Osteopa- thie/manueller Therapie behandelt. Die Vorgehensweise benennt das Team als diagnostikgesteuerte The- rapie, da sich aus der veränderten Symptomatik entscheidende dia- gnostische Erkenntnisse schöpfen lassen. In den ersten sechs Wochen der Behandlung entwickelt sich so der beschwerde- und therapierele- vante Befund. dgT-Pfad und interdisziplinäres Behandlungsziel Der diagnostischen Therapie folgt die eigentliche CMD-Thera- pie. Entscheidend ist dabei die regelmäßige Reevaluation des Be- handlungsverlaufs im Team gut aufeinander abgestimmter Be- handler als Instrument der befund- bezogenen Steuerung der Therapie. Klar definierte und mit dem Patien- ten gut kommunizierte Therapie- ziele werden als individuelles Op- timum verstanden, welches sich an dem Schweregrad der Pathologie orientiert. Die durchschnittliche Behandlungsdauer kann bis zu sechs Monate dauern. Liegt ein konservativ nicht lösbares gelenk- spezifisches Problem vor, können operative Maßnahmen am Kiefer- gelenk erwogen werden. Neuromuskuläre Funktions- störung und Chronifizierung Im Falle einer verbleibenden neuromuskulären Funktionsstö- rung im craniofazialen Bereich wird die Behandlungsstrategie an- gepasst. Die Chronifizierung ist häufig Folge einer komplexen Ver- änderung im Nervensystem. Nor- male Stimuli führen zu einer ver- stärkten Reizaufnahme (Allodynie und Hyperalgesie). Neben der ver- stärkten Reizaufnahme verändert sich auch die Reizverarbeitung in der grauen Substanz des Rücken- marks. Die Folgen werden als „wind-up“-Phänomen beschrieben. Anfangsdiagnose diagnostische Therapie Zwischendiagnose richtige therapeutische Entscheidung Zwischendiagnose geänderte Therapie individuelles Optimum Abb. 2: Diagnostischer Pfad. Abb. 3: Evaluation der Behandlungsziele. NEIN Reevaluation der Behandler Interdisziplinäre Behandlungsziele erreicht? JA individuelles Optimum nicht erreicht individuelles Optimum erreicht gelenkspezifisches Problem neuromuskuläres Problem kein okklusaler Störfaktor okklusaler Störfaktor ggf. Chirurgie des Kiefergelenks geänderte Behandlungsstrategie Behandlungsziel erreicht • ggf. Schiene nachts oder zeitweise • ggf. MT/Osteopathie nach Bedarf ggf. Versuch, Rekonstruktion der Okklusion zu vermeiden: • Tragedauer Schiene reduzieren • Setzt sich Okklusion wieder, weiter beschwer- defrei? Fortsetzung auf Seite 8 (cid:206)

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