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Dental Tribune Swiss Edition No. 4, 2017

26 Interview DENTAL TRIBUNE · D-A-CH Edition · Nr. 4/2017 Der Stress, dem Sportler – spe- ziell Fußballer – ausgesetzt sind, hat vielfältige Ursachen. Sei es der so ziale Stress, wenn 30, 40 oder noch mehr tausend Zuschauer im Stadion sitzen – das ist Wahnsinn. Dann der Stress, der aus der sportlichen Belastung re- sultiert und den man den Sportlern auch ansieht. Letztlich werden viele dieser Stressfaktoren aber auch über das Spiel hinaus verarbeitet oder kanalisiert – z. B. über das Gebiss. Dann ist es gut, wenn wenigstens nachts Schienen getragen werden. Die Funktionsschienen wirken einer- seits präventiv (es kann nichts ka- puttgehen) und andererseits dienen sie der Stressverarbeitung und der Entlastung bei funktionellen Proble- men. Deswegen ist es auch meine persönliche Meinung, dass jeder Sporttreibende, der erfolgreich sein will, eigentlich eine Schiene tragen sollte, auch als Ausgleich, um dann besser zu regenerieren. Herr Rangnick, im Fußball spielt, wie in anderen Sportarten auch, speziell mentale Stärke eine wich- tige Rolle. Wie schafft man es, dass speziell nach Niederlagen oder Pha- sen, wo es vielleicht nicht ganz so optimal läuft, die Mannschaft men- tal stabil in die nächsten Spiele geht? Rangnick: Bevor ich an Sascha den Ball herüberspiele: Wenn es bei uns einmal nicht so gelaufen ist, dann suchen wir die Gründe dafür Deshalb geht es natürlich am Ende, wenn es vielleicht mal nicht läuft, auch für den Athleten nicht darum, jetzt die Schuld unbedingt bei sich zu suchen, denn das würde natürlich zusätzlich am Selbstwert nagen, um in der Sprache des Zahn- arztes zu bleiben. Wir versuchen den Jungs aufzuzeigen, dass es eben an Dingen lag, die wir problemlos drei oder sieben Tage später wieder anders machen können und wo es dann am Ende auch wieder anders laufen kann. Ähnlich haben wir das zuletzt beim Darmstadt-Spiel ge- handhabt. Nach drei sieglosen Spie- len und zwei Niederlagen in Serie, eine Situation, die wir ja jetzt noch nicht so oft hatten, wurde nicht das große Ganze infrage gestellt, son- dern im Gegenteil, wir haben in der Vorbereitung auf das Spiel versucht, den Jungs einfach noch einmal die positiven Dinge zu vermitteln, die uns dahin gebracht haben, dass wir dort stehen, wo wir jetzt stehen. Und dass es einfach nur darum geht, genau diese Dinge auch wieder nachhaltig auf den Platz zu bringen. Lense: Ihre Frage zielt ein biss- chen den Zusammenhang von „Miss- erfolg = mental instabil, Erfolg = mental stabil“ ab. Gott sei Dank ist das im Sport nicht ganz so. Ich glaube, was noch entscheidender auf die mentale Stabilität einwirkt, ist, worin wir die Ursachen für unseren Spielt die Atmosphäre im Sta- dion eine Rolle in Hinblick auf die Psyche der Spieler? Oder anders gefragt: Wird man durch eine besonders feindliche Atmosphäre be eindruckt? Rangnick: Ich glaube nicht, dass uns das in der Vergangenheit jetzt großartig beeindruckt hat. Wenn dann vielleicht noch in der 3. oder auch anfangs in der 2. Liga. Wir haben gesagt, alles, was auf dem 110 mal 65 Meter großen Rechteck pas- siert, können wir beeinflussen. Da hat das, was von außen kommt, ei- gentlich keine Auswirkung. Zu hun- dert Prozent kann man Dinge, die einen ablenken, aber nie lupenrein ausblenden. Psychologisch ist das scheinbar unmöglich, was heißt, du lässt dich unweigerlich ein Stück weit davon beeinflussen. Ich glaube aber, dass in der aktuellen Phase, wo Ziele erreicht oder auch nicht erreicht wer- den, die Spiele weniger werden, auch mehr nach gedacht wird. Und klar, die Spieler haben auch ihre Umfelder, ihre Familien, ihre Freunde, ihre Berater, die dann sagen: Jetzt müsst ihr es aber schaffen! In dem Moment wirst du halt auch wie- der ein bisschen verbissen, dann fehlt dir vielleicht diese Lockerheit. Die Kunst besteht ja darin, dass du jedes Spiel so spielst, dass wir uns im Hier und Jetzt befinden und uns überhaupt nicht damit beschäftigen, was eventuell sein könnte. Wenn beim nächsten Mal, wenn die nächste Aktion kommt, versuche ich mich wieder komplett darauf zu fokus- sieren und es dann besser zu machen. Vielleicht noch eine taktische Frage: Wir sitzen ja da oben im Stadion und von oben sieht alles immer toll und logisch aus. Ich denke aber, dass es unwahrschein- lich schwer sein muss, auf dem Spielfeld als Spieler wirklich diese Übersicht zu haben und strategisch die richtigen Entscheidungen zu treffen. Rangnick: Wir trainieren mit den Spielern intensiv das, was wir spielen wollen. 80 Prozent der Trai- ningsinhalte sind darauf ausgerich- tet. Das heißt, wir studieren letztlich diese Dinge ein, oftmals sogar unter erschwerten Bedingungen. Wir nen- nen das dann Übertreibungen, und insofern empfinden die Spieler die taktischen Anforderungen im Spiel im Vergleich zum Training oftmals fast als leichter. Wenn dagegen un- sere B-Elf spielt, ist es für die Spieler oft schwieriger, Lösungen zu finden, als bei einem Ligaspiel. Aber das ist auch von uns so beabsichtigt. Lense: Natürlich sieht man das von oben aus einer anderen Perspek- tive. Aber die Spieler sind es gewohnt und trainieren es auch, aus einer 2-D-Wahrnehmung praktisch men- tale Modelle zu bilden. Sie wissen aus © OEMUS MEDIA AG Im sportlichen Dialog – v.l.n.r.: Jürgen Isbaner, Vorstand OEMUS MEDIA AG/Chefredakteur ZWP Zahnarzt Wirtschaft Praxis, mit dem Sportdirektor von RB Leipzig, Ralf Rangnick, und Zahnarzt Prof. Dr. Tilman Fritsch sowie Sascha Lense, Teampsychologe bei RB Leipzig. bei uns. Haben wir die Spieler viel- leicht nicht ausreichend genug ge- schont, denn für unsere Spielweise ist es ungeheuer wichtig, dass die Jungs körperlich und vor allem auch mental ausgeruht sind. Die müssen frisch sein, sonst ist es schwierig, diesen Balleroberungsfußball auch wirklich auf den Platz zu bringen. Das heißt, wenn es einmal nicht ge- lingt, dann ist die erste Frage: Haben wir die Spieler auf das Spiel körper- lich gut vorbereitet? Dann die nächste Frage: Haben wir die rich- tige Strategie gewählt? Hat es von der Grundordnung gepasst, um den Gegner anzulaufen? Hat das Timing vielleicht nicht gestimmt, und wenn ja, warum nicht? Wir schieben nach dem Spiel also nicht in erster Linie die Schuld den Spielern zu. Ich glaube, die Jungs wissen das auch sehr genau und auch entsprechend zu schätzen. Erfolg oder unseren Misserfolg sehen. Fast sogar noch mehr als letzt- lich das tatsächliche Ergebnis. Und da gibt es bestimmte Denkmuster, wie wir nach Niederlagen oder nach Erfolgen agieren, und in Bezug auf Niederlagen ist es für die Mentalität und die Psyche wichtig, dass man die Niederlage nicht auf mangelnde Fä- higkeiten zurückführt, sondern dass alles immer so ein bisschen was mit der Anstrengung zu tun hat. Für den Spieler bedeutet das, man kann es und hat alles noch unter der eigenen Kontrolle. Wenn es die Fähigkeiten wären, die uns zur Niederlage ge- führt haben, dann wäre das nicht sehr günstig für die nächsten Spiele. Das gilt übrigens genauso für den Er- folg. Auch den sollten wir nach Mög- lichkeit schon unseren Fähigkeiten zuschreiben können und weniger vielleicht externen Dingen, wie Glück oder Heimspiel etc. diese Kausalzusammenhänge plötz- lich in deinem Kopf stattfinden, dann fehlen die Freude und das Spontane. Es geht um dieses eine Spiel, und innerhalb dieses einen Spiels um die eine – nämlich genau die nächste Aktion. Boris Becker hat das mal in einem Interview gut beschrieben, als er gesagt hat: Wenn du im Tennis Matchball für dich oder gegen dich hast und in dem Moment daran denkst, was passiert, wenn du den jetzt verschlägst, dann verschlägst du ihn. Du musst im Tennis und auch im Fußball immer wieder diese Fähigkeit haben. Im Tennis ist es halt nur dieser eine Athlet, im Fußball sind es elf, die dann vielleicht auch nicht immer den gleichen Gedanken haben. Du musst dich wirklich nur auf die nächste Ak- tion konzentrieren und dann wieder auf die nächste. Selbst wenn du dann dreimal vorbeigeschossen hast, dann geht es eben darum, zu sagen: So, und ihrer – zwar eingeschränkten Wahr- nehmung von Zeit und Raum, von Mitspielern und Gegenspielern, wie sich das Gesamtspielfeld dynamisch und nicht statisch darstellt. Je frischer ein Spieler ist, umso besser ist diese Art der Wahrnehmung. Das ist ein anspruchsvoller Informationsverar- beitungsprozess, eine hohe kognitive Leistung. Hier kann unser ganzheitli- cher Ansatz helfen. Taktik, Technik, körperliche Fitness und mentale Stärke sind eng miteinander verwo- ben. Rangnick: In Bezug auf Wahr- nehmung, auf Kognition, spielt das Eyetracking in unserem Programm eine wichtige Rolle. Wir haben hier skandinavische Coaches, die alle paar Wochen kommen und die Spie- ler testen. Je nachdem, wie der Test ausfällt, bekommen die Spieler ein spezielles Trainingsprogramm. All das dient dazu, die koordinativen und damit auch die kognitiven Fä- higkeiten der Spieler zu optimieren. Eine Frage noch: Ernährung. Ich hatte das mal gelesen, es gibt auch Spieler, die sich vegan ernähren, bzw. dass im RB-Trainingszentrum zumindest auch veganes Essen an- geboten wird. Welche medizini- schen Argumente gibt es dafür, sich, sagen wir mal, als Sportler vegan zu ernähren? Fritsch: Die Mundhöhle zeigt eindeutig, eine vegane Ernährung ist nicht nötig. Wir können uns omni- vor ernähren. Aber, wir essen zu viel Fleisch. Fleischreduziert und ausge- wogen, natürlich zuckerfrei, eiweiß- reduziert und auf jeden Fall weizen- und milchfrei sollte die Ernährung sein. Dann sind wir schon in einem sehr guten Bereich. Das ideale Ge- tränk ist Wasser. Wenn diese Grobpa- rameter eingehalten werden, ist eine vegane Ernährung aus meiner Sicht nicht unbedingt nötig. Wenn jemand für sich persönlich merkt, vegan geht es mir besser, ist das natürlich toll. Leistungssportler sollten hier aber per Blutbild kontrolliert werden. Rangnick: Wir unterziehen jeden Spieler zu Beginn der Saison einer Untersuchung mit einem sehr um- fangreichen Blutbild. Es werden alle relevanten Parameter untersucht. Dazu gibt es dann noch ein Neuro- stressprofil. Dabei finden wir natür- lich auch heraus, ob es z. B. Unver- träglichkeiten gibt. Oftmals wissen Spieler das gar nicht und kennen somit auch nicht die Ursachen für ihre Darm- und gegebenenfalls da- raus auch resultierend ihre muskulä- ren Probleme. Hier hilft dann eine konsequente Umstellung der Ernäh- rung, und es gibt Beispiele, wie auf diesem Weg aus hochbegabten Spie- lern letztlich Modellathleten wurden. Jahrzehntelang hieß es auch im Fußball: Kohlenhydrate, Kohlenhy- drate, Kohlenhydrate. Das war so ein Mythos. Wenn ich an meine Schal- ker Zeit denke, als wir Champions League gespielt haben, sind wir am Abend vor dem Spiel im Hotel ange- kommen und haben dann bis zum nächsten Abend fünfmal Kohlenhy- drate zu uns genommen. Der Insulin- spiegel wurde innerhalb von 24 Stun- den fünfmal hochgeschossen. Heute weiß man, dass ein im mittleren Bereich ausgeglichener Insulinspiegel sowohl für den Sportler als auch für den Normalbürger ideal ist. Das muss man den Spielern auch immer wieder klarmachen. Bei uns werden die Spieler entsprechend der Trainingsanforderungen auf hohem Niveau bekocht und ernähren sich so- mit sehr ausgewogen. Unsere Spieler wissen das inzwischen sehr zu schät- zen. Gesund alleine reicht aber nicht. Es muss den Spielern auch schme- cken. Wenn es nicht schmeckt, dann kannst du erzählen, was du willst. In- zwischen nehmen die Jungs abends nach dem Training das Essen in Warmhalteboxen vom Trainings zen- trum mit nach Hause. Ab diesem Moment wussten wir, dass wir dies- bezüglich auf dem richtigen Weg sind. Vielen Dank für das spannende und informative Gespräch und weiterhin viel Erfolg in der Bun- desliga. DT

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