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Perio Tribune Swiss Edition

26 PERIO TRIBUNE Swiss Edition Nr. 12/2016 · 5. Dezember 2016 State of the Art Bei der Osteoradionekrose hat per Definition eine Bestrahlung im Kopf-Hals-Bereich stattgefunden. Hierbei steigt ab einer Bestrahlungs- intensität von über 50 Gy das Erkran- kungsrisiko signifikant an.InAbgren- zung zu der Osteoradionekrose hat bei der Bisphosphonat-assoziierten Kiefernekrose keine Bestrahlung in der Anamnese stattgefunden, jedoch ist die Medikamentenhistorie posi- tiv auf die Einnahme des Medi- kamentes. Eine analoge Unterschei- dung empfiehlt sich bei anderen Medikamenten-induzierten Kiefer- nekrosen, wie der RANK-Ligand- Kiefernekrose z.B. durch die Ein- nahme von Denosumab®. Neben der Erkrankungsursache lässt sich auch das Erkrankungsstadium für die Bisphosphonat-assoziierteKiefernek- rose klassifizieren. Im StadiumI zeigt sich asymptomatischer Knochen ohne Schmerzen und Zeichen einer Entzündung. Im Stadium II wird die Erkrankungsymptomatisch.Estreten ZeicheneinerInfektionmitEiter-und Abszessbildung hinzu.Im Stadium III sind zusätzlich eine pathologische Fraktur, Fistelbildung nach extraoral oder Osteolysen bis an die Unter- kieferbasis zu finden (Abb. 1–3). Einsatzspektrum der Bisphosphonate und RANK-Ligand-Inhibitoren Die steigenden Inzidenzen der Medikamenten-induzierten Kieferne- krosen ergeben sich aus dem breiten Einsatzspektrum der Bisphosphonate und RANK-Ligand-Inhibitoren (z.B. Denosumab®) wie bei einer ganzen Reihe an gutartigen und bösartigen Erkrankungen.Bei den bösartigen Er- krankungen wird das osteolytische Wachstum von Knochenmetastasen bei Mamma- und Prostatakarzinom inhibiert. Zum Teil wird auch eine di- rekte Beeinflussung auf die Zellviabi- lität der Tumorzellen diskutiert.Auch das multiple Myelom kann positiv beeinflusst werden und Negativereig- nisse (Skeletal-Related Events = SRE) im Rahmen dieser Erkrankungen wie Wirbelbrüche, pathologische Fraktu- renundSchmerzen,könnenreduziert werden. Auch gutartige Knochen- erkrankungen werden durch diese Medikamentenklassen therapiert.Ins- besondere die Osteoporose hat auf- grund ihrer Prävalenz einen hohen Stellenwert. Weitere Erkrankungen sind der Morbus Paget, nicht bakteri- elle Ostitiden und als Option bei the- rapieresistenten Osteomyelitiden. Pathophysiologie der Kiefernekrose Der menschliche Knochen ist kein statisches Gewebe, sondern un- terliegt einem stetigen Umbau und der Anpassung an veränderte Bedin- gungen und Belastungen. Dies macht verständlich, dass die Aktivität von Osteoblasten und Osteoklasten eng über das RANK-OPG-System ge- koppelt sein muss.Des Weiteren sorgt ein fein verzweigtes Kapillarnetz für eine ausreichende Versorgung und be- sitzt sogar unter physiologischen und pathophysiologischen Bedingungen die Fähigkeit zur Bildung von Blutzel- len. Die Bestrahlung des Kiefers führt nicht nur zum Untergang von Tu- morzellen, sondern bewirkt sowohl Zellschäden des Hart- und Weich- gewebes als auch der amorphen Substanz. Weiterhin wird auch die Speichelproduktion durch einen Un- tergang von Speicheldrüsengewebe und den fibrotischen Umbau der Drüse inhibiert. Bisphosphonate füh- ren zu einer gewünschten Inhibition von Osteoklasten. Dieses bewirkt einen Abbaustopp des Knochens, welcher bei Osteoporose oder im Umfeld von Metastasen sehr er- wünscht ist. Jedoch besitzt dieser Knochen mit „eingefrorenem Stoff- wechsel“ nur noch unzureichend die Möglichkeit, Mikrofrakturen aus- zuheilen. Verschiedene nationale und internationale Arbeitsgruppen konn- ten weiterhin zeigen, dass nicht nur die Osteoklasten, sondern auch Os- teoblasten, Fibroblasten, Keratinozy- ten und insbesondere Zellen der Angiogenese und Neovaskularisation wie EPC (engl.: endothelial progeni- tor cells) durch Bisphosphonate in ihrem Zellstoffwechsel empfindlich gestört werden.Aufgrund der schlech- teren Durchblutung des Unterkiefers und seiner kortikalen Eigenschaft tre- ten Bisphosphonat-assoziierte Kiefer- nekrosen im Unterkiefer häufiger auf als im Oberkiefer. Die Pathophysio- logie der Medikamenten-induzierten Nekrose des Kiefers aufgrund von RANK-Ligand-Inhibitoren ist noch weitestgehendnichterforscht.Proble- matisch ist hier die Übertragung der Erkrankung in ein Tiermodell,da die Antikörper humanspezifisch sind. DieWirkung der Bisphosphonate beruht auf einer Störung des Me- valonatstoffwechsels. Hierbei führen die nicht stickstoffhaltigen Bisphos- phonate zu einer Senkung des ATP- Levels in der Zelle. Die stickstoffhalti- gen Bisphosphonate, wie z.B. die Zo- ledronsäure, arretieren den Mevalo- natstoffwechsel,indemsiedieBildung des Metaboliten Geranylgeraniol (GGOH) verhindern. Eine weiterfüh- rende Prenylierung von Signalprote- inen wie Rac, Cdc42 und Rho-GTPa- sen ist nicht mehr möglich. Hieraus resultiert eine Hemmung der Zellvia- bilität und Motilität, eine Störung in der Zytoskelettarchitektur bis hin zu Apoptose und Zelltod. Neben der er- wünschtenWirkung auf Osteoklasten beigutartigenundbösartigenErkran- kungen des Knochens werden jedoch auch Osteoblasten und Zellen des Weichgewebes sowie der Neovasku- larisation und Angiogenese insbe- sondere durch die stickstoffhaltigen Bisphosphonate inhibiert. Hieraus lässt sich die Hypothese ableiten, dass neben einer Inhibition der Knochen- regeneration auch die Wundheilung empfindlich gestört ist. Radiologische Zeichen der Kiefernekrose Neben dem Hauptzeichen des freiliegenden, therapieresistenten Knochens kann auch die Röntgen- diagnostik Hinweise geben, dass der Knochenstoffwechsel durch Medika- mente oder Bestrahlung gestört ist. Pathognomonisch ist eine persistie- rende Alveole: Das bedeutet, dass vier bis sechs Wochen nach erfolgter Ex- traktion eines Zahnes die Alveole im Röntgenbild noch nicht verstrichen und voll sichtbar ist. Des Weiteren zeigt sich bei Bisphosphonatgabe eine honigwabenartige Struktur des Kie- fers. An pathologischen Zeichen sind bei diesen Patienten auch Sequester- bildungen und pathologische Fraktu- ren zu beobachten. Unterschiedliche Studien konnten zeigen, dass 3-D- Darstellungen sehr wohl eine Hilfe- stellung bei der geplanten OP geben können, aber das gesamte Ausmass der Nekrose sich nicht sicher abbilden lässt. Auslöser der Kiefernekrose Neben der Störung des Knochen- stoffwechsels bedarf es zumeist eines Triggerfaktors, um den Prozess zur Entstehung einer Kiefernekrose anzu- stossen. Hier sind zumeist die Extrak- tionen von Zähnen ohne folgende plastische Deckung zu nennen, ge- folgt von chirurgischen Eingriffen wie Implantationen. Daneben können Prothesendruckstellen sowie nicht behandelte Parodontitiden und api- kale Entzündungen an Zähnen als Auslöser dienen. In wenigen Fällen ist kein kausaler Zusammenhang zu fin- den.Daherergibtsich,dassder Zahn- arzt durch korrektes Handeln und ein frühzeitiges Erkennen von Risikofak- toren die Inzidenz der Kiefernekrose senken kann. Hierbei kommt der zahnärztlichen Sanierung vor Be- strahlung oder Medikamentengabe eine entscheidende Rolle zu. Auch sollten Patienten unter Bisphospho- natgabe regelmässig im Rahmen der Prophylaxe vom Zahnarzt gesehen werden. Operative Eingriffe bei bestrahlten Patienten oder unter Bisphosphonattherapie Oberste Kautel bei chirurgischen Eingriffen wie Zahnextraktionen ist ein schonender Umgang mit dem Hart- und Weichgewebe: Der Eingriff sollte unter einer perioperativen Anti- biose erfolgen, Knochenkanten soll- ten geglättet werden und der Wund- verschluss mehrschichtig erfolgen. Unterstützend kann eine Ernährung über Sonde und bei manifester Ne- krose eine intravenöse (i.v.) antibio- tische Abdeckung sinnvoll sein. Um einen mehrschichtigen Verschluss der Wunde zu ermöglichen, bedient man sichunterschiedlicher Deckungstech- niken wie z.B. dem Periostkipp- lappen. Weitere Möglichkeiten sind eine Präparation von Mundboden- muskulatur zur Deckung von Defek- ten im Unterkieferseitenzahnbe- reich. Zur Weichgewebedeckung im Oberkiefer lässt sich ebenfalls der Bichat-Fettpfropf verwenden. Die Defektsituation im Rahmen der Kie- fernekrosekannimfortgeschrittenen Erkrankungsstadium so ausgedehnt sein,dassmanzurRekonstruktionvon Kieferanteilen auf mikrovaskuläre Fernlappen zurückgreifen muss. Moderne Therapieverfahren In sehr frühen Erkrankungssta- dien kann ein Therapieversuch unter Verbesserung der Mundhygiene und eine orale antibiotische Abdeckung unternommen werden. Oftmals bleibtjedochnurderchirurgischeAn- satz mit einer Abtragung des nekroti- schen Knochens und einer span- nungsfreien, möglichst mehrschichti- gen Deckung. Bei ausgedehnter Ne- kroseisteineKrankenhauseinweisung unumgänglich. Hier kann die Wund- heilung durch eine i.v. antibiotische Therapie und Sondenkosternährung über eine nasogastrale Sonde geför- dert werden. Als Antibiotikum emp- fiehlt sich ein Breitspektrumantibio- tikum wie z.B. Amoxicillin mit Clavulansäure (Augmentan®). Clin- damycin ist aufgrund der lediglich nur bakteriostatischen Wirkung und des Nebenwirkungsprofils mit z.B. gastrointestinalen Beschwerden nur Medikament der zweiten Wahl. In den letzten Jahren konnten wichtige Beiträge zum Verständnis der Kiefernekrose gewonnen werden. So scheinen verschiedene Faktoren für die Entstehung einer Kiefernekrose verantwortlich zu sein. Neben einer Hemmung unterschiedlicher Zell- systeme des Hart- und Weich- gewebes, einer reduzierten Immun- abwehr, scheinen auch biophysikali- sche Kenngrössen wie der pH-Wert des Gewebes eine entscheidende Rolle zu spielen. Als Beispiel für kau- sale Therapieansätze ist der experi- mentelle Einsatz von Erythropoetin zur Steigerung der Angiogenese und die Substitution des Mevalonatstoff- wechselmetaboliten Geranylgeraniol zu nennen. Fazit für die Praxis Wir konnten zeigen, dass die multifaktorielle Kiefernekrose ein Erkrankungsbild mit steigender Inzi- denzundBedeutungfürdenZahnarzt in Klinik und Praxis ist. Um das Er- krankungsbild zu vermeiden, gilt es, Risikofaktoren für die Entstehung der Kiefernekrose zu minimieren. Ins- besondere sollten Zahnextraktionen nur unter den Kautelen einer Scho- nung des Hart- und Weichgewebes, antibiotischer Abschirmung und mehrschichtigem Wundverschluss er- folgen. Die Steigerung der Mundhy- giene der Patienten sowie die Aufklä- rung bereits vor erster Medikamen- tengabe ist ein weiterer wichtiger Beitrag zur Risikominimierung. Es bedarf einer weiteren intensiven Er- forschung, um die Pathophysiologie der Kiefernekrose noch besser zu ver- stehen und kausale Therapieansätze zu entwickeln. PT   Fortsetzung von Seite 25 Infos zum Autor Kontakt Dr. Dr. Dr. Thomas Ziebart Oberarzt der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie Universitätsklinikum Marburg Baldingerstr. 35043 Marburg, Deutschland Tel.: +49 6421 5863209 Fax: +49 6421 5868199 ziebart@med.uni-marburg.de www.ukgm.de 1 2 3 Abb. 1: Bisphosphonat-assoziierte Kiefernekrose im Stadium I: Freiliegender Knochen ohne Entzündungszeichen. – Abb. 2: Bisphosphonat-assoziierte Kiefernekrose im Sta- dium II: Freiliegender Knochen mit Entzündungszeichen (putride Infektion). – Abb. 3: Ausgedehnte Kiefernekrose mit freiliegendem Knochen und typischerweise nicht umge- bauten Alveolen. 4 Abb. 4: Radiologisches Zeichen einer Kiefernekrose: Sequesterbildung und nicht verknöcherte Alveole. Abb. 5: Bisphosphonat-assoziierte Kiefernekrose im Stadium IV: Pathologische Fraktur im 3. Quadranten. 5 Tel.: +4964215863209 Fax: +4964215868199 123

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