Please activate JavaScript!
Please install Adobe Flash Player, click here for download

Dental Tribune German Edition No. 11, 2016

6 DENTAL TRIBUNE German Edition Nr. 11/2016 · 7. November 2016 International Science Neben chronischem Stress, welcher vor allem im anamnestischen Ge- spräch ermittelt werden kann, sind multiple unspezifische Beschwer- den ein Hinweis auf eine Malfunk- tion des neurologischen und stress- adaptiven Systems. Depressionen hingegen sind kein ursächlicher, dafür aber ein aufrechterhaltender Faktor für Schmerzen und folglich eine kausale Ursache für die Entste- hung chronischer Schmerzen. Dies ist der überwiegenden Mehrzahl der befragten Zahnärzte bekannt (Von Korff 1993). Die Behauptung, dass Schmer- zen von Patienten als Ausrede zur Vermeidung unangenehmer Tätig- keiten genutzt werden, wurde dage- gen sehr uneinheitlich beantwortet. Dies ist auch nicht verwunderlich, da hierzu kaum Literatur existiert. Eine dahingehende Umfrage unter Experten erreichte eine Zustim- mung von 90 Prozent. Es ist aber zu vermuten, dass dieses Vermei- dungsverhalten unbeliebter Tätig- keiten durch den Patienten eher un- bewusst erfolgt. Wissen zur Diagnostik Seit 2006 bestehen Empfehlun- gen der Deutschen Schmerzgesell- schaft e. V. (DGSS) zur Diagnostik von Patienten mit Schmerzen im Bereich der Kaumuskulatur und/ oder Kiefergelenke. Aus diesen ist ersichtlich, dass die rein körperliche Untersuchung des Patienten nicht ausreicht, um dem Krankheitsbild der CMD gerecht zu werden. Dieses Grundverständnis, dass nicht al- leine physische Befunde für die Dia- gnostik ausreichend sind, ist bei der stark überwiegenden Mehrzahl der Zahnärzte anzutreffen (Tabelle 2). Dagegen bestehen beim Ver- ständnis chronischer Schmerzen große Unsicherheiten. Wenn ein Schmerz länger als drei bis sechs Monate andauert, besteht die Ge- fahr, dass das Leiden chronisch wird. Bei akuten Schmerzen sind oftmals organische Ursachen prä- sent (z. B. das entzündete Zahn- fleisch oder die Längsfraktur). Der Schmerz hat hier in der Regel eine Warnfunktion mit dem Ziel, die betroffenen Gewebe zu entlasten. Viele Patienten kommen verständ- licherweise mit der Erwartungshal- tung, dass dort, wo Schmerzen sind, auch eine organische Ursache für diesen Schmerz vorliegt. Oftmals kann der Zahnarzt dem auch ent- sprechen, wie zum Beispiel bei nor- malen Zahnschmerzen. Dem ist bei chronifizierten Schmerzen leider in der Regel nicht so. Hier liegt die Ur- sache der Schmerzen oftmals fernab der empfundenen Schmerzlokalisa- tion. Mechanismen liegen in einer zentralen Bahnung der Schmerzen (zentrale Sensibilisierung), der Stö- rung der Schmerzleitungshemm– systeme (DNIC), dem verstärkten Ausbilden von Schmerzrezeptoren in der betroffenen Region und dem Überspringen von evozierten Potenzialen auf benachbarte neu- ronale Strukturen (übertragener Schmerz). Selbstverständlich kön- nen auch die Erregungsleitungs- strukturen selbst betroffen sein (neuropathischer Schmerz). All dies kann dafür sorgen, dass Schmerzen auch dann erhalten bleiben, wenn die lokale Ursache schon lange nicht mehr vorhanden ist, insofern es je eine lokale Ursa- che gab. Diese Mechanismen rück- gängig zu machen, ist entsprechend nicht mit einer lokalen Therapie machbar und bedarf in der Regel interdisziplinärer Therapieansätze. Die Schwierigkeit besteht hierbei, lang anhaltende lokale Schmerzen von chronischen Schmerzen zu dif- ferenzieren. Hinsichtlich der Eignung rönt- genologischer Verfahren zur Dia– gnostik bei Patienten mit CMD be- steht Unsicherheit. Korrekterweise verneinten zwei Drittel der Teilneh- mer, dass die Position des Gelenk- köpfchens in der Gelenkgrube bei der Panoramaschichtaufnahme ein verlässlicher Indikator von internen Verlagerungen des Kiefergelenks ist. Bedingt durch die starke Ab- hängigkeit vom Strahlengang und der Formenvielfalt der Gelenk- köpfe, kann bei zweidimensionalen Aufnahmen die Lagebeziehung der Gelenkköpfchen zur Gelenkgrube grundsätzlich nicht zuverlässig be- stimmt werden. Schon gar nicht sind Verlagerungen der knorpeligen Strukturen erkennbar, da diese nicht röntgenologisch darstellbar sind. Gerne wird fälschlicherweise versucht, anhand des dargestellten Gelenkspaltes auf die internen Strukturen zurückzuschließen. Ähnlich wie bei der Panorama- schichtaufnahme werden die knö- chernen Anteile der Kondylen bei einer transkraniellen Aufnahme gut dargestellt. Aufgrund der hohen Belastung strahlensensibler neu- ronaler Strukturen, gilt diese Auf- nahmetechnik heutzutage in der CMD-Diagnostik als obsolet. Das Vorliegen einer schmerzfreien Ver- änderung im Bereich der Kieferge- lenke ist in der Regel kein Anlass für eine Intervention bzw. einen weite- ren Abklärungsbedarf. Dieser Mei- nung waren nur 42 Prozent der Teilnehmer. Ausnahmen sind hier eine des Lebensalters untypische funktionelle Kapazität des Unter- kiefers oder Verdacht auf neoplasti- sche Veränderungen. Bezüglich einer Behandlungs- bedürftigkeit von Patienten mit Knackphänomenen im Bereich der Kiefergelenke sieht erfreulicher- weise die Mehrzahl der Teilnehmer keinen generellen Bedarf. Dass ein schmerzfreies Knacken in den Kie- fergelenken in der Regel nicht be- handlungsbedürftig ist, kann wis- senschaftlich als belegt angesehen werden. Anders sieht es bei Perso- nen aus, bei denen gleichzeitig eine Mundöffnungsbehinderung oder ein sozial einschränkend lautes Knackgeräusch präsent ist. Hier ist es abhängig vom individuellen Lei- densdruck gelegentlich sinnvoll, eine Reponierung anzustreben, wenngleich dies oftmals einen hohen zahnärztlichen Interventi- onsbedarf auslöst und auch nur bei erhaltener Form des Discus articu- laris sinnvoll ist. Schlussendlich wurde gefragt, ob instrumentelle funktionsanaly- tische Verfahren therapieentschei- dende Hinweise bei Patienten mit CMD bieten. Dem stimmten 70 Prozent der Teilnehmer zu. Gemäß den zur Verfügung stehenden wissenschaftlichen Daten (siehe HTA-Bericht 101 und Versorgungs- richtlinien der American Associa- tion of Dental Research 2010) steht der Nachweis eines therapeutisch relevanten Nutzens aus. Die Ergeb- nisse instrumenteller funktions- analytischer Verfahren werden als alleinige Begründung für eine The- rapie explizit abgelehnt, um eine Fehl- und Überversorgung zu ver- meiden. Insofern bleibt derzeit pri- mär die Verwendung als Dokumen- tations- und Kontrollinstrument und für die Individualisierung von Kausimulatoren. Auch die DGFDT sieht in ihrer kürzlich aktualisier- ten Leitlinie zur instrumentellen Funktionsdiagnostik keine Berech- tigung der elektronischen Bewe- gungsaufzeichnung als alleiniges Screeninginstrument für artikuläre Störungen, sondern verweist hierzu auf die zwingende Kombination mit anamnestischen und klini- schen Befunden hin. Fazit Während sich das Wissen zur Ätiopathogenese von Parafunktio- nen und CMD bei niedergelassenen deutschen Zahnärzten auf gutem wissenschaftlich fundiertem Ni- veau befindet, ist das Wissen zur Diagnostik heterogen. Es bestehen erhebliche Informationsdefizite be- züglich der Mechanismen und dem Verständnis von chronischen Schmerzen. Auch Informationen zum Nutzen zweidimensionaler röntgenologischer Verfahren in der CMD-Diagnostik bedürfen der in- tensiveren Berücksichtigung und Diskussion bei Fortbildungen. Die karge Datenlage zu instrumentellen funktionsanalytischen Verfahren und der ausstehende Nachweis eines für den Patienten relevanten Nutzens fordert die Wissenschaft- ler, diesen Nutzen zu belegen oder auch zu widerlegen. Bis dahin soll- ten Therapieentscheidungen pri- mär auf klinischen Daten basieren und instrumentelle Verfahren nur als Ergänzung betrachtet werden. DT Behauptung Zustimmung „weiß nicht“ Ablehnung Informationen zu den tägli- chen Zeitabläufen/Mustern von CMD-Symptomen sind bei der Identifizierung der ur- sächlichen Faktoren hilfreich 88,7 8,1 3,2 Die Mechanismen von akuten und chronischen Schmerzen stimmen miteinander überein 12,4 33,9 53,8 Die Position des Kondylus in der Fossa laut Panorama- schichtaufnahme/OPG ist ein verlässlicher Indikator von in- ternen Verlagerungen des Kiefergelenks 19,1 16,0 64,9 Transkranielle Aufnahmen (z. B. nach Schüller) sind gut zur Darstellung des Kiefer- gelenkes geeignet 46,5 38,0 15,5 Das Vorliegen von arthroti- schen Veränderungen in OPG’s im Zusammenhang mit Kiefergelenkreiben (Krepitus) weist auf einen Behandlungs- bedarf hin 39,6 18,2 42,2 Alle Patienten mit Kieferge- lenkknacken sind behand- lungsbedürftig 5,9 3,2 91,0 Instrumentelle funktionsana- lytische Messverfahren (z. B. Kondylenpositionsmonitor, Gelenkbahnvermessung) bie- ten therapieentscheidende Hinweise bei CMD-Patienten 70,6 19,3 10,2 Tab. 2: Die Behauptungen zur Diagnostik und Antworten der Teilnehmer in Prozent. Nach aktuellem wissenschaftlichem Stand korrekte Antworten sind fett markiert. Infos zum Autor Infos zum Autor Kontakt Dr. med. dent. Oliver Schierz Universitätszahnmedizin Leipzig Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik und Werkstoffkunde Liebigstraße 12 04103 Leipzig, Deutschland Tel.: +49 341 97-21300 oliver.schierz@medizin. uni-leipzig.de Gereo Wirtz Zahnarzt in Praxis Dr. Andreas Sondermann Martinstraße 44 57462 Olpe/Biggersee Deutschland Tel.: +49 2761 62588 praxis@dr.sondermann.de Abb. 4: 70-jährige Patientin mit angelegter Apparatur zur instrumentellen Bewegungsaufzeichnung. 4  Fortsetzung von Seite 4 © Ingolf Riemer 88,78,13,2 12,433,953,8 19,116,064,9 46,538,015,5 39,618,242,2 5,93,291,0 70,619,310,2 Tel.: +4934197-21300 Tel.: +49276162588

Seitenübersicht