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Dental Tribune Swiss Edition No. 10, 2016

18 Continuing Education DENTAL TRIBUNE Swiss Edition Nr. 10/2016 · 5. Oktober 2016 Warum Perfektionismus eine Illusion ist Perfektionisten streben perfekte Lösungen „um jeden Preis“ an, auch um den ihrer eigenen Gesundheit. Von Dr. Stefan Fourier, Hannover. Die Grenze zwischen perfekt und perfektionistisch ist fliessend. Das trifft für Menschen wie für Organi- sationen zu. Während „perfekt“ zu hervorragenden Produkten und oft auch zu hohen Margen führt, macht Perfektionismus Menschen krank und erlahmt Organisationen. Diese Erscheinungen nehmen zu. Das ist vor allem deshalb so tragisch, weil Perfektionis- mus eigentlich nur auf einem grossen Irrtum beruht. Trotz- dem breitet er sich aus, wie eine schleichende Krankheit. Aber es gibt Gegenmittel. Perfektion ist Zufall Wir leben und wirtschaften in einer komplexen Welt und nichts ist berechenbar. Mit elementarer Wucht schlagen immer wieder Er- eignisse in unseren Alltag, die nie- mand vorausgesehen hat und die, allen Vorhersagen gemäss, eigent- lich gar nicht hätten passieren kön- nen. Da fällt plötzlich die Berliner Mauer und Europa verändert sich. Viele andere Beispiele liessen sich aufzählen. Für solche abrupten Änderun- gen mit einschneidender Wirkung hat sich der Begriff „Schwarzer Schwan“ eingebürgert. Aber auch bei den viel kleineren Dingen des Alltags wirkt die Komplexität und führt zu Abweichungen zwischen dem, was man möchte, sich vorge- stellt oder geplant hat, und dem, was dann tatsächlich eintritt. Der Plan für den Tag war perfekt, aber bereits nach der ersten Stunde läuft alles ganz anders. Trotz sorgfälti- ger Arbeit und Qualitätskon- trolle kommen mangelhafte Ar- tikel zur Ausliefe- rung und müssen zurückgerufen werden. Der erfahrene Installateur hat sich alle Mühe gegeben, und trotzdem tropft der Wasserhahn nach zwei Tagen wieder. Solche Dinge passieren täglich, wenn sie auch an der Gesamtzahl der Ereignisse einen nur geringen Anteil im Prozent- oder Promillebe- reich stellen. Aber: Perfektion wäre 100 Prozent! Und die wird eben nicht erreicht. Unmöglich. Es bleibt immer eine statistische Fehlerquote, die nicht unterschritten werden kann. Trotz grössten Bemühens. Perfektionismus führt zu Überforderung Wenn das so ist, sollte das un- bedingte, bedingungslose Streben mancher Menschen nach der per- fekten Lösung misstrauisch machen. Solange dahinter eine Haltung von Gewissenhaftigkeit, ein hoher per- sönlicher Anspruch an Leistung und Organisiertheit steht, gibt es keine Einwände. Wenn jedoch die Grenze zur Zwanghaftigkeit überschritten wird, permanente Versagensängste und depressive Symptome auftre- ten, dann wird es kritisch. Man nennt diese Menschen Perfektio- nisten. Ihnen genügt Gewissen- haftigkeit nicht, das in der Situation Menschenmögliche zu tun. Zwanghaft trei- ben sie sich selbst und ihre Umge- bung an, sind niemals zufrie- den, tolerieren keinerlei Abweichun- gen, erlauben kein Nachlas- sen. Sie jagen einem Phantom nach. Es ist leistungsfördernd, auch im Sinne von Unternehmen, Fami- lien und der Gesellschaft, eine Span- nung zwischen „Soll“ und „Ist“ aufzubauen. Das lässt uns nach Weiterentwicklung, ständiger Ver- besserung streben und ist grund- sätzlich gesund. Wenn allerdings aus dem „Soll“ ein „Muss“ wird, handelt es sich eindeutig um eine Dysfunktionalität. Der Perfektionist handelt zwanghaft, weil angst- getrieben. Er ist einem er- höhten Disstress ausge- setzt. In verschie- denen klinischen Studien wurden Z u s a m m e n - hänge mit kri- tischen Krank- heitsbildern hergestellt, wie A n g s t - u n d Zwangsstörun- gen, Alkoholismus, Anorexia nervosa, Bu- limia nervosa, Depression, sexuelle Funktionsstörungen bis hin zu Selbstmordgedanken. In der immer enger werdenden Welt (nicht im räumlichen Sinne, sondern unter Markt- und Wett- bewerbsaspekten) wächst zwangs- läufig der Arbeits- und Leistungs- druck. Zweifellos auch im Zu- sammenhang damit, überschreiten mehr und mehr Menschen die Grenze zum Perfektionismus. Sie gefährden sich damit selbst und ihre Umgebung.Genau aus diesen Grün- den wächst auch die Burn-out-Rate beängstigend an. Perfektionismus erlahmt Organisationen In vielen Unternehmen und Ins- titutionen ist das Streben nach Per- fektion Grundlage der Arbeit. In vielen Unternehmensleitlinien und Mission Statements finden sich Be- griffe wie„perfekt“,„Spitzenleistung“, „Nummer eins“. Solange das in einemvernünftigenMiteinanderver- wirklicht wird, ist es positiv. Wenn dagegen Perfektionismus um sich greift, vielleicht sogar zur Doktrin wird, dann nimmt die Organisation Schaden. Bevor der schlimmste Fall eintritt und viele Mitarbeiter und Führungskräfte Burn-out (ich ver- wende diesen Begriff hier summa- risch für die oben genannten und ähnlich gelagerten Erkrankungen) bekommen und langfristig ausfal- len, steigt der Krankenstand. Einer- seits steckt dahinter tat- sächlich die Zunahme von Erkrankungen, andererseits han- delt es sich häu- fig um Schutz- re a k t i o n e n vo n u n te r Perfektionis- musauswir- kungen lei- denden Betrof- fenen. Viel schwerer wiegt jedoch eine an- dere Erscheinung: Per- fektionismus macht Angst und Kontrolle zu dominierenden The- men. Der sogenannte soziosystemi- sche ErfolgsfaktorVertrauen als trei- bende Kraft für gute Zusammenar- beit, Kreativität, Innovation und für Unternehmenserfolg schwindet. In einer solchen Atmosphäre gedeihen Regelungs- und Kontrollwut. Alles wird vorgeschrieben, in dem Glau- ben, dadurch zu besseren Ergebnis- sen zu kommen. Alles wird mit Kennziffern belegt, auch in den un- sinnigsten Konstruktionen, in Ziel- vereinbarungen geschrieben, ge- benchmarkt und gereviewt. In Per- fektionismuskulturen wird Vorgabe und Kontrolle zum Selbstzweck. Entscheidungen werden nicht mehr von Führungskräften getroffen, sondern aus Zahlenkolonnen in Management-Cockpits abgelei- tet. Weil das sicherer ist und dann schliesslich die Zahlen verantwortlich sind und nicht der Manager. Da in keinem Falle dem Perfektionismusan- spruch genügt werden kann, ist jeder gut beraten, sich in Deckung zu bringen. Das Ganze geht einher mit der Ausbildung starker Hierar- chien und befestigter Be- reichsgrenzen. Und am Ende geht im Unternehmen nichts mehr normal – die Organisation ist verquer und letztlich lahmgelegt. Perfektionismus ist eine schleichende Krankheit Nun soll niemand glauben, er selbst und sein Unternehmen seien gegen Perfektionis- mus gefeit. Je grösser der Druck, desto häufiger werden Anforderungen nicht erfüllt. Das führt – w e n n e i n e kluge Führung dem nicht Ein- halt gebietet – wiederum zu hö- herem Druck, zu noch mehr Fehlern und so weiter. Eine Teufelsspirale entsteht, an deren Höhepunkt die Perfektionismusfalle steht. Ist eine Organisation einmal auf dem Weg dorthin, und wird sie nicht durch drastische Interventionen daran ge- hindert weiterzugehen, dann schnappt diese Falle irgendwann zu. In manchen Grossorganisatio- nen kann man diese Entwicklung verfolgen, auch in Behörden und beim Finanzamt. Diese tragen darü- ber hinaus mächtig dazu bei, dass sich die genannten Erscheinungen auch in kleineren Unternehmen ver- breiten. Behörden und die Konzern- zentralen üben nämlich auf der Grundlage von Gesetzen und Com- pliance-Regeln Druck aus und sor- gen auf diese Weise dafür, dass jeder sich besser absichern muss. Perfek- tionismus breitet sich aus. Es bedarf also nicht unbedingt eines perfek- tionistischen Chefs, der seine Um- gebung unter Kontrolle zwingt, sondern die Eigendynamik von Organisationen führt, wenn sie nicht gebremst wird, in die Perfek- tionismusfalle. Mögliche Gegenmittel Die Medizin gegen den Perfektionismusbefall ist der Mensch. Das klingt zu- nächst überraschend, denn schliesslich ist er Betroffe- ner und in gewisser Weise auchVerursa- cher des Perfektionismus und seiner Auswirkungen. In sehr vielen Fällen – überall dort, wo Perfektionismus sich ungezügelt ausbreitet – sind Menschen passive Teile des „Sys- tems“. Sie ordnen sich den Regeln und Bedingungen im Unterneh- men unter, hinterfragen sie nicht und folgen ihren Gewohnhei- ten. Das muss aber nicht so sein, denn Men- schen haben die Fähigkeit, zu gestalten, auch die Systeme, zu denen sie selbst gehören.Dazumüs- sen zwei Vorausset- zungen erfüllt sein. Ers- tens müssen die Menschen ge- stalten dürfen. Führungskräfte müs- sen das zulassen und fördern. Zwei- tens müssen die Menschen gestalten können. Dazu benötigen sie Wissen und Erfahrungen. Wenn diese beiden Vorausset- zungen erfüllt sind, dann kommt der spannende Moment. Wenn je- doch die weitere Perfektionierung des Bestehenden im Fokus bleibt, dreht sich die Perfektionismusspi- rale weiter. Stattdessen muss es um Vereinfachung und Reduzierung gehen.Ausgangspunkt kann die ein- fache Frage sein, wie man die erfor- derlichen Ergebnisse mit nur 80 Prozent des üblichen, gewohnten Einsatzes schaffen kann. Wenn man sich auf diese Frage konzentriert, dann ergeben sich viele Möglichkei- ten, mit weniger Aufwand zum Ziel zu kommen. Dadurch wird Stress reduziert, der Arbeitsdruck für den Einzelnen sinkt, die Effektivität der Organisation steigt, es werden Po- tenziale für Weiterentwicklung und Innovation freigesetzt, das Arbeits- klima bessert sich. DT © Sashkin/Shutterstock.com © L i g h t s p r i n g / S h u t t e r s t o ck.com © p a t h d o c / S h u t t e r s t o c k . com © p athdoc/Shutterstock.com © Maridav/Shutterstock.com Dr.Stefan F o u r i e r – H u m a n a g e m e n t G m b H Stefan Fourier Schlau statt perfekt Wie Sie der Perfektionismus-Falle entgehen … BusinessVillage 2015 ISBN: 978-3-869803-28-9, 19,80 Euro Infos zum Autor Kontakt Dr. Stefan Fourier Humanagement GmbH Theodor-Heuss-Platz 18 30175 Hannover Tel.: +49 511 279144-0 www.fourier.de Tel.: +49511279144-0

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