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Special Tribune Swiss Edition No. 7+8, 2016

30 SPECIAL TRIBUNE Swiss Edition Nr. 7+8/2016 · 27. Juli 2016 Continuing Education Eine funktionelle Vorbehand- lungkannunliebsameÜberraschun- gen bei konservierenden oder pro- thetischen Versorgungen verhin- dern.Auchwenndasästhetischeund kariesprotektive Ergebnis zunächst ein dauerhaft gesund funktio- nierendes Kauorgan suggerieren mag, können die zahn- und zahn- ersatzbezogenen Voraussetzungen einer funktionellen Diskoordination (unbeabsichtigt) „eingebaut“ wer- den. So geschehen bei dem nachfol- gend geschilderten Patientenfall. Fallbeschreibung Diese heute 45-jährige Patientin wurde vor ca. 19 Jahren in allen vier Quadranten vom Autor dieses Arti- kels mit Goldinlays und -overlays versorgt, war und ist regelmässig in erwachsenenprophylaktischer Be- treuung und hat eine gute Mundhy- giene. Lediglich im Jahr 2006 war nochmals die Anfertigung und Ein- gliederung eines keramischen Inlays an Zahn 14 notwendig gewesen. Ende 2014 berichtete sie, dass sie seit mehreren Monaten von verschiedenen medizinischen Fach- kollegen (Orthopäde, Physio- therapeut, Psychologe) wegen unter- schiedlicher Beschwerden resp. Schmerzen behandelt worden sei. In der subjektiven Vorbefundung klagte sie z.B. über Spannungskopf- schmerz, Nacken-, Kiefer-, Ohren- und Schulterschmerzen, Schwindel, gab aber auch an, mit den Zähnen zu pressen, dass diese nicht richtig auf- einander passen, sie nur auf einer Seite kaute und sie verschiedene Positionen mit ihren Zähnen ein- nehmen könne. Weder die Kollegen noch die Patientin dachten an die Möglichkeit, das stomatognathe System mit zu untersuchen. Auch von zahnmedizinischer (unserer) Seite wurde bis dahin nichts unter- nommen, da die Patientin stets mit einer gewissen Gelassenheit unsere Sprechstunde zum Recall aufsuchte und deshalb kein Anlass zu anderen Untersuchungen (auch wenn, wie später zu berichten sein wird, ob- jektive Hinweise vorhanden waren) bestand. Behandlungsverlauf Nach einem kleinen Funktions- check, anamnestischer Befragung sowie Palpation der Kaumuskulatur und kurzer Deprogrammierung be- stand der Anfangsverdacht einer de- kompensierten Funktionsstörung. Die klinische Funktionsanalyse im Februar 2015 erbrachte: Kapsuli- tis links, entzündlicher Prozess der bilaminären Zone sowie anteriore Diskusverlagerung mit Reposition links und bestätigte den Anfangsver- dacht. In gleicher Sitzung wurden Abformungen und Gesichts- bogenübertragung vorgenommen, um Registrierschablonen für die computerunterstützte Registrierung der Unterkieferbewegungen anferti- gen zu lassen. Im März erhielt sie die adjus- tierte Aufbissschiene (Abb. 4), die im Unterkiefer eingegliedert wurde. Drei Tage später wurde eine kleine Korrektur der Okklusion und Arti- kulation vorgenommen. Ende März berichtete die Patientin, dass sie be- schwerdefrei sei. Im Oktober erfolgte eine zweite Vermessung, die als Grundlage zur (geringen) Nachjus- tierung der Schiene dienen und Grundlage einer Modellanalyse sein sollte. Eine weitere Therapiealternative wäre eine funktionsorientierte kie- ferorthopädische Regulierung gewe- sen, die die Patientin nach reiflicher Überlegung ablehnte. So wurde der Entschluss gefasst, ausschliesslich prothetisch eine Neuzuordnung des Unterkiefers zum Oberkiefer nach abgeschlossener Schienenvorbe- handlung vorzunehmen. Und mit neuem Zahnersatz ausschliesslich für den Unterkiefer. Geplant wurden vollkeramische Restaurationen. Die Wax-up-Modelle (Abb. 5) dienten u.a. dazu, sich die notwen- dige Neuausrichtung der Kronen- fluchtenleichtervorstellenzukönnen und danach das präparatorische Vor- gehen anzupassen (siehe dazu auch Abb. 20 der Bildergalerie). So wurde unter Zuhilfenahme des Präpara- tions-/Remontageschlüssels immer wieder zwischenkontrolliert. In die- sem Falle war es ausserdem sehr hilf- reich, dass die Patientin auch ohne Schlüssel die angestrebte Unterkie- ferposition ungefähr einnehmen konnte, da sonst die Sicht zur Kont- rolle der präparierten Stümpfe durch den Schlüssel behindert war. Um die okklusalen Kontakte zu den Oberkieferzähnen herstellen zu können, mussten die Kronen im dritten Quadranten deutlich nach obenundaussenkonstruiertwerden. Dies wurde bei der Präparation – auch mithilfe eines Präparations- schlüssels, der später als Bissregistrat diente – berücksichtigt. Zunächst wurde mit einem schrumpfungsop- timierten Modellierkunststoff der im Labor erstellte Präparations-/ Remontageschlüssel im Mund an drei Stellen im Ober- und Unterkie- fer unterfüttert, um ihn passgenau zu machen. Nach jedem wichtigen Präparationsschritt (z.B. nach Bear- beitung der zweiten Prämolaren) wurde nachunterfüttert (Abb. 6). So konnte für eine getreue Übertragung der erreichten, offensichtlich physio- logischen, weil beschwerdefreien Unterkieferposition in die Arbeits- modelle gesorgt werden. Bis auf die Restaurationan37,diewegenSekun- därkaries (auf dem Röntgenbild und klinisch nicht vorher zu erkennen) entfernt und durch eine adhäsive Aufbaufüllung ersetzt wurde, sind alleanderenGoldfüllungenwährend der Präparation verblieben. Sie waren ohne Sekundärkaries, lagen stabil, und es bestand kein Grund, diese vorher zu entfernen. (Abb. 7) Ausnahmsweise wurden hier wegen des grossen Arbeitsaufwands Präpa- rations- und Abformsitzung ge- trennt. In der ersten wurden alle Zähne präpariert, die Registrierun- gen erstellt und das Provisorium (Abformung des Wax-up-Modells als „Schablone“ zur Erstellung des Provisoriums) angefertigt. In der zweiten Sitzung erfolgte die Abfor- mung. Nach dem Einsetzen des neuen Zahnersatzes wurden erste okklusale und artikulatorische Feinkorrektu- ren vorgenommen. Die Patientin stellte sich wenige Tage später erneut vor, um nachkontrollieren und die keramischen Oberflächen polieren lassen zu können. Sie berichtete, dass sie sich gut fühle und weiterhin be- schwerdefrei sei (Abb. 9). Diskussion Das Wissen um die Zusammen- hänge von Funktion des Kauorgans und seiner u.a. konservierenden resp. prothetischen Rehabilitation ist nach Abschluss des zahnmedizini- schen Studiums (zugegebenermas- sen meist nur in Ansätzen) theore- tisch vorhanden. Es braucht jedoch mitunter Jahre (praktische und the- oretische Fortbildung, Erfahrungs- austausch mit versierten Kollegen, aber auch erfahrenen Zahntechni- kern), dieses in der täglichen Praxis (erfolgreich) ein- und umzusetzen. Die heute vorhandenen techni- schen Hilfsmittel unterstützen in immer besserem Umfang das Auf- finden der physiologischen Unter- kieferposition, ersetzen jedoch nicht die zahnärztlichen Handlungen am Patienten in Bezug auf Anamnese, Diagnostik, Therapie, Kontrolle von Aufbissbehelfen oder auch die ab- schliessende Feinjustierung der Ok- klusion und Artikulation nach Ein- gliederung von Restaurationen jegli- cher Art. Die Entgleisung einer über viele Jahre bestehenden kompensierten craniomandibulären Dysfunktion führt die Patienten oft zunächst zu anderen, medizinischen Fachrich- tungen mit umfangreicher Diagnos- tik und Therapie (da ein Zusam- menhang mit dem stomatognathen System leider allzu oft noch immer nicht angenommen wird), die nicht zielführend sind oder sein können. Die baldige Hinzuziehung eines zahnärztlichen Kollegen, der mit der Diagnostik und Therapie einer Funktionsstörung vertraut ist, kann deshalb den Weg zur Beschwerde- freiheit oder zumindest Schmerz- linderung verkürzen. Exostosen, keilförmige Defekte an den Zahn- hälsen, isolierte Rezessionen, druck- schmerzhafte Bereiche der Kopf- Hals-Kaumuskulatur u.a. können Hinweise auf eine craniomandibu- läre Dyskoordination sein, sodass bei regelmässigen (halb-)jährlichen Kontrolluntersuchungen auch da- nach geschaut und bei entsprechen- der anamnestischer Fragestellung die Problematik an den Tag gebracht werden könnte. Besteht kein Grund zu funk- tionstherapeutischen Handlungen, weil, wenn objektiv Hinweise zu fin- den sind, aber subjektiv seitens des Patienten nichts als störend oder krank machend empfunden oder beklagt werden kann, dann können sog. kompensierte Dysfunktionen auch belassen werden. Erst wenn grössere Sanierungen anstehen, sollte man auch in diesen Fällen eine funktionelle Vorbehandlung über- denken,umdannnichtdasbisdahin etablierte und funktionierende Sys- tem möglicherweise zum Kippen zu bringen. Mit dem Wissen, der Erfahrung und dem handwerklichen Können von heute würde der Autor dieses Artikels bei bestehendem Anfangs- verdacht einer craniomandibulären Dysfunktion Sanie- rungen nicht ohne einen entsprechen- den Aufwand an Vordiagnostik und Vortherapie vorneh- men wollen. ST Mit dem Wissen von heute … Vor umfangreichen konservierenden und prothetischen Sanierungen sollte eine funktionelle Vorbehandlung erfolgen. Von Dipl.-Stom. Burghard Falta, M.Sc., Bochum. 1 4 7 2 5 8 3 6 9 Abb. 1 und 2: Altersgerechte und gesunde Parodontalverhältnisse, Sekundärkaries röntgenologisch nicht erkennbar. – Abb. 3: Klinische Ausgangssituation. – Abb. 4: Eingegliederte Unterkiefer-Ausbissschiene. – Abb. 5: Wax-up-Modell, Ausschnitt 3. Quadrant. – Abb. 6: Präparationsschlüssel, der sukzessive nachgefüttert wurde. Abb. 7: Man kann erkennen, wie bei der Präparation die lingualen Bereiche der Zähne im dritten Quadranten und die bukkalen Be- reiche der Zähne im vierten Quadranten mehr abgetragen worden sind (als die bukkalen im dritten bzw. lingualen im vierten), um leichter in die neu anzustrebenden okklusalen Kontakte bei der Konstruktion der Kronen gelangen zu können. – Abb. 8: Unbearbei- tetes Kontrollmodell – keramisches Veneer 33, keramisch vollverblendete Zirkondioxid-Kronen 34, 35 sowie monolithische Kronen 36 und 37. – Abb. 9: Abschlussbild. Infos zum Autor Kontakt Dipl.-Stom. Burghard Falta, M.Sc. Kurt-Schumacher-Platz 11–12 44787 Bochum, Deutschland Tel.: +49 234 684055 info@falta-zahnvital.de www.falta-zahnvital.de Ausführliche Bildergalerie Tel.: +49234684055

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