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Dental Tribune Austrian Edition No.1+2, 2016

4 DENTAL TRIBUNE Austrian Edition Nr. 1+2/2016 · 3. Februar 2016International Science Angstabbau, schnell und langsam Angst beruht auf zwei Denksystemen, die man als Zahnarzt kennen muss. Von Dr. med. dent. Walter Weilenmann, Familienzahnarzt, Wetzikon, Schweiz. Die hier vorgestellte Methode des Angstabbaus wendet zu Beginn der Sitzung physiologische und kom- munikative Techniken an, um die Grundangst des Patienten abzu- bauen. Dann folgen abwechslungs- weise reizarme Manipulationen, die die Angstreflexe verhüten, und kurze Pausen, die die Selbstkon- trolle des Patienten bestärken. Die Sitzung endet mit schmerzfreien Arbeitsschritten, damit sie in guter Erinnerung bleibt. Langfristig bewirkt die Me- thode eine Abnahme der Zahl der verlangten Anästhesien und eine Zunahme der Anmeldungen von neuen Angstpatienten. Einleitung Seit über 50 Jahren wird die hohe Zahl der Angstpatienten be- klagt. Abbildung 1 zeigt ein Bei- spiel. Signalisiert das Kind Koope- ration oder Angst? Muss man nun mit ihm spielen und allen Instru- menten neue Namen geben? Und wenn es beim Bohren doch ängst- lich ausweicht? 2002 ließ ich mich von einer Psychotherapeutin bera- ten. Wir entwickelten das Konzept „Sechs einfache Hilfen bei Angst- patienten“ (Weilenmann und Egli, 2004). Es beinhaltet u.a. das kühle Stirntuch, reizarme Behandlungen und Pausen zum Sprechen. Unter- dessen haben wir weitere Techni- ken gefunden und es sind neue Ideen von zwei anerkannten Psy- chologendazugekommen:„Schnel- les Denken, langsames Denken“ (Nobelpreisträger Daniel Kahne- man, 2012) und „Der Marshmal- low-Test“ (Walter Mischel, 2015). Angst, Selbstkontrolle und Er- innerung sind die Leistungen zweier Denksysteme. System I ist unbewusst, autonom, heiß und im- pulsiv, stereotyp, emotional, dau- ernd aktiv und sehr schnell (re- agiert innert Millisekunden). Es bewertet schon beim Säugling je- den Sinnesreiz als angenehm oder unangenehm und reagiert mit mo- torischen und hormonellen Refle- xen. So werden Reize wie Strei- cheln, unbequemes Liegen, Kälte, Hitze, ein erfreutes oder erschreck- tes Gesicht, Schmerz, Lärm, Schläge am Zahn reflexartig beant- wortet mit Entspannung, Ver- krampfung, stockender Atmung oder Abwehr, Wohlfühl- oder Stresshormonen, Freude oder Angst. System II ist das bewusste Selbst. Es benutzt die Sprache, ist kalt und abwägend, flexibel, intelli- gent, nur aktiv, wenn wir wollen, und eher langsam (reagiert nach mehreren Sekunden). Es wird durch die Umwelt geformt und ist erst im Erwachsenenalter ausge- reift. So entwickeln Kinder wenig Selbstkontrolle und fallen eher in ein misstrauisches, impulsives Ver- halten, wenn die Eltern beispiels- weise ihre Versprechen oft nicht einhalten. Bei anderen Eltern hin- gegen, die zuverlässig ihren Ab- sprachen folgen, können die Kinder eine starke Selbstkontrolle gegen- über unangenehmen Gefühlen ent- wickeln. System I dominiert meistens. Es blockiert zum Beispiel automa- tisch das System II in überwälti- genden Momenten (Abb. 1) oder aktiviert es bei Überraschungen (wenn eine Behandlung viel besser war als erwartet). Diese Dominanz ist nur mit starker Selbstkontrolle zu überwinden (wie bei Hypnose oder konzentrierter geistiger Ar- beit). Laufend finden schnelle und langsame Lernprozesse statt. Zum Beispiel überträgt sich die Angst ei- ner Mutter vor Schlangen, Insek- ten, Spritzen oder Zahnärzten rasch und autonom auf das Kind, während man das System II nur langsam und mit Willensanstren- gung durch Studieren, Üben, Beob- achten und Erfahren lernen kann. Eine gute Erinnerung entsteht bei den meisten Menschen, wenn das Erlebnis schmerzlos endet, auch wenn es länger dauert und insge- samt mehr Schmerzen bereitet als ein kurzes Erlebnis mit schmerzhaf- tem Ende. Der mit dem Angstabbau beschäftigte Behandler muss beach- ten, ob der Patient eher ein „Kont- rolleur“ oder „Ausblender“ ist. Der erste wünscht Informationen wie ein Tell-Show-Do, der zweite Ab- lenkungen wie TV und Hypnose. Methode Das Ziel der Methode ist, Sys- tem I ruhig zu halten und System II zu aktivieren. Abbildung 2 zeigt die einzelnen Techniken. Sie werden rechtzeitig beim Erscheinen eines Angstsignals angewendet, und zwar bei jeder Sitzung in variabler Zahl und Reihenfolge. Der zusätz- liche Zeitaufwand beträgt etwa zehn bis 15 Minuten in einer kon- servierenden Sitzung. Zuerst wird die Grundangst des Patienten abgebaut (heiße Stirn, kalte Hände, stockende Atmung, hochgezogene Schultern, Logorrhö usw.). Dann kommt eine Vorberei- tung für System I mit kleinen Rei- zen im Mund durch Annäherung einer kleinen Absaugkanüle, dann Berühren des Zahnes mit stehen- dem Bohrer usw., wie kurze Tell- Show-Do-Einheiten mit anschlie- ßender Frage, ob es gut sei. Danach beginnt der Wechsel von reizar- men Arbeitsschritten und Pausen. Taktgeber sind die äußeren Angst- signale des Patienten (unruhige Zunge, verkrampfte Hände, Stöh- nen usw.) und die inneren des Zahnarztes und der Dentalassis- tentin (unsichere Einschätzung des Patienten, aufkommende Un- geduld usw.). Das Behandlungs- ende wird durch feine, schmerz- freie Arbeitsschritte gebildet. Schnelle Techniken Rückzug und Ersatz Weinende, verzweifelte Kinder im Wartezimmer bekommen noch mehr Angst, wenn sie den Zahn- arzt sehen. Er zieht sich am besten zurück. Als Ersatz kann die DA mit der Mutter Hygienemöglich- keiten besprechen und den Mund des Kindes inspizieren. Kaltes Stirntuch Halten Sie sich selber ein nass- kaltes Tuch (Abb. 3) an ihre Stirn. Sie spüren sofort ein Wohlgefühl und eine Erfrischung. Das Stirn- tuch wird zu Beginn der Sitzung, insbesondere vor jeder Anästhesie, mit einer Frage aufgelegt wie „Die meisten mögen das. Ist das gut?“. Nur selten wird es abgelehnt, und oft ist es nach kurzer Zeit warm und muss neu gekühlt werden. Handwärmer Halten Sie eine Hand in ein Waschbecken und lassen Sie kaltes Wasser einlaufen. Überlegen Sie nach 30 Sekunden, ob Sie mit der kalten Hand eine Zahnbehandlung möchten. Manche Angstpatienten haben eiskalte Hände. Nach kur- zem Augenkontakt und einer Frage wie „Darf ich kurz?“können Sie die Hand des Patienten berühren. Der Handwärmer (Abb. 3) ist eine mit warmem Wasser gefüllte PET- Flasche. Süßgetränk Kinder und junge Erwachsene lieben Zucker. Er macht sie mutiger. Süßes Getränk (Abb. 6) nach Wahl. Patientenlagerung Strecken Sie den Kopf nach hin- ten und versuchen Sie zu schlucken. Es wird Ihnen schwerfallen. Etliche Angstpatienten halten den Kopf so weitnachhinten,dasssienichtschlu- cken können und einen Schluck-, Husten- oder Würgereiz bekommen. Der Rachen wird frei durch Hochla- gern, manchmal auch durch Seit- wärtsdrehen des Kopfes. Hochlagern der Beine und des Oberkörpers ent- spannt den Rachen und erleichtert zugleich die Atmung. Reizarm behandeln Nehmen Sie ein blaues Winkel- stück (ohne eingesetzten Bohrer) und halten Sie es an ihren Front- 1a 1b Abb. 1a: Totstellreflex eines sechsjährigen Mädchens mit schlaffem, offenem Mund und geschlossenen Augen. Statt Spraynebelsauger und Bohrer ist jetzt eine Pause mit einer Frage vonnöten. Das Mädchen ist noch nicht traumatisiert, kann die Selbst- kontrolle leicht wiedererlangen und wird dann den ersten Kontakt mit dem kleinen Sauger gut ertragen. – Abb. 1b: Im Vergleich dazu das Bild eines toten Mannes. ©alphaspirit Abb. 2: Die Techniken der Methode. 2 Schnell wirksam in System I 1. Rückzug und Ersatz 2. Kaltes Stirntuch 3. Handwärmer 4. Süßgetränk 5. Patientenlagerung 6. Reizarm behandeln 7. Gute Erinnerung Langsam wirksam in System II 1. Entwarnung 2. Atmung, Tonus, Logorrhö 3. Bild und Modell 4. Handzeichen 5. Pause und Frage 6. Sozialer Angstabbau Fortsetzung auf S. 6

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