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Dental Tribune German Edition No. 11, 2015

continuing education 11/2015Seite 28 DT today Die deutsche Kieferorthopädie im Licht der Versorgungsforschung: zu viel,zu früh,zu lang,zu schlecht Im erstenTeil diesesArtikels wurde gezeigt,dass in Deutschland wesentlich mehr Heranwachsende kieferorthopädisch behandelt werden als international üblich ist. Von Dr.med.dent.Henning Madsen,Ludwigshafen. n Die Behandlungsfrequenz in Deutschland geht weit über die in der Bevölkerung vorhandenen Behand- lungswünsche hinaus. Gleichzeitig wird bei uns ungewöhnlich früh im WechselgebissmitderBehandlungbe- gonnen,obwohlesdafürkaumwissen- schaftliche Evidenz gibt. Das bleibt nicht ohne Konsequenzen für die Be- handlungen,diebeiunsungewöhnlich lang dauern, aber nur mäßige Verbes- serungen und schlechte Effizienz auf- weisen. Zu lang: Behandlungsdauer nirgendwo länger als bei uns Die umfangreichste Studie über kieferorthopädische Behandlung in deutschen Praxen untersucht die Be- handlungsergebnissevonelfniederge- lassenen Kieferorthopäden aus dem RaumTübingen.23. Dabeizeigtesichdie auffallend lange Behandlungsdauer von durchschnittlich 48,4 Monaten. Einschränkend muss hier bemerkt werden,dassinternationalalsBehand- lungsdauer immer die Zeit der aktiven Behandlung angegeben wird, wäh- rend die eventuell nachfolgende Re- tentionszeitaußenvorbleibt.Leiderist dies bei der zitierten Studie wie auch bei zwei weiteren deutschen Studien nicht der Fall24, 25 , sondern es wird als Behandlungsdauer der Zeitraum von aktiver Behandlung einschließlich Re- tention angegeben, also in etwa der zeitliche Abstand von Anfangs- und Schlussmodell. Selbst wenn die Retentionszeit für diese drei Studien mit zwölf Monaten veranschlagt wird, fallendieseStudienimmernochdurch extrem lange aktive Behandlungs- dauer auf: die elf Kieferorthopäden hätten auch nach zwölf Monaten Ab- zug immer noch 36,4 Monate aktiver Behandlung. Die Uniklinik Düsseldorf wiesenacheinementsprechendenAb- zug immer noch eine aktive Behand- lungszeit von 43,4 Monaten auf24 , zwei Kieferorthopäden aus der Praxis 37,9 bzw.29,8Monate25 ,wobeinurdieletzte Zahl sich international üblichen Wer- ten annähert. Alle anderen deutschen Studien weisen dagegen korrekt die aktive Behandlungszeit aus: 37 Mo- nate in einer Studie über Klasse II-The- rapie14 , 39,1 Monate an der Humboldt- UniversitätBerlin26 ,43bzw.46Monate fürBehandlungmitdemBionator27 ,52 Monate in einer Studie über heraus- nehmbare Apparaturen28 , 75 Monate in einer Untersuchung an der Univer- sitätsklinik Freiburg29 . Zum Vergleich: Kieferorthopäden in Norwegen benötigen 25,2 Monate30 , in Schweden ca. 19 bis 21 Monate31,32 , Großbritannien 25 Monate33 und in Irland 20 Monate34 . Ein Kieferortho- päde aus Guinea berichtet eine durch- schnittliche Behandlungsdauer von 17,8 Monaten35 , was dem heute mög- lichenStandardentspricht.Dieindeut- schen Studien angegebene Behand- lungsdauer mutet daneben aberwitzig und antiquiert an. Zu schlecht: leichte Fälle,geringe Verbesserung Die Behandlungsqualität wird in der Kieferorthopädie meist mit dem PAR-Index gemessen, der an Anfangs- und Schlussmodellen erhoben wird. Hohe PAR-Zahlen über 25 sprechen für große Abweichungen, kleine Zah- len um fünf für gute Endergebnisse. Gute Behandlungen sollten wenigs- tens 70 Prozent prozentuale Verbesse- rung und einen Endwert von unter zehnPunktenbringen.Typischerweise werden in Deutschland, wo praktisch halbe Jahrgänge kieferorthopädisch versorgtwerden,besondersvieleFälle mit geringem Korrekturbedarf behan- delt, was sich in auffallend niedrigen PAR-Werten zu Beginn der Behand- lung niederschlägt: Universität Frei- burg mit 15 Punkten, Universität Düs- seldorf mit 22,3 Punkten, elf Kiefer- orthopäden mit 23 Punkten, heraus- nehmbar behandelte Patienten mit 19,5 Punkten. Derartig niedrige Anfangswerte sind in der internationalen Literatur nur ausnahmsweise zu finden, in der der PAR zu Beginn der Behandlung meistenszwischen25und30Punkten liegt. In einer Liste von 80 oft zitierten PAR-Studien sind unter den 15 mit der längsten Behandlungsdauer sieben aus Deutschland. Dabei wird jedoch meist nur eine bescheidene Verbesse- rung erzielt: so kommen elf Kiefer- orthopäden im Durchschnitt nur auf 61,1 Prozent Verbesserung. Entfernt man einen Ausreißer, vermutlich den InitiatordieserStudie,mitseinenunge- wöhnlich guten Ergebnissen, so gelin- gen den übrigen zehn Kollegen nicht einmalmehr60ProzentVerbesserung. Gleichzeitig erreichen die elf Kollegen nur einen relativ schlechten PAR-End- wert von 7,9 Punkten.23 Diese Werte dürfterealistischdieVersorgungsqua- lität in deutschen Praxen widerspie- geln, zumal es keine zweite Praxisstu- die mit auch nur annähernd so vielen Teilnehmern aus Deutschland gibt. Effizienz der Behandlung Aus der erzielten Verbesserung des PAR-Wertes und der Behandlungs- dauer ist leicht die Effizienz der Be- handlungen,gemessenalsPAR-Reduk- tion pro Jahr, zu errechnen. In Verbin- dung mit der in Deutschland üblichen langen Behandlungsdauer weisen die deutschen Studien wenig überra- schend sehr schwache Werte auf. So finden sich in einer Liste von 80 oft zitierten PAR-Studien jährliche PAR- Reduktionen zwischen 1,76 und 17,86 Punkten. Unter den 15 Studien mit der geringsten Behandlungseffizienz sind erneut acht aus Deutschland. Dabei schießt die Universitätsklinik Frei- burg mit erstaunlich geringen 1,76 Punkten PAR-Reduktion pro Jahr den Vogel ab29 , aber auch elf deutsche Kie- ferorthopäden kommen lediglich auf 3,74 Punkte, die sich auch nach Abzug von12 MonatenRetentionszeitnurauf 4,71 erhöhen23 . Während Kieferortho- päden weltweit zwischen acht und 14 1 2 3 Abb.1: Auch bei – selten indizierten – Frühbehandlungen, wie in diesem Fall, sind festsitzende Apparaturen überlegen. – Abb. 2: Mit nur acht Brackets im Oberkiefer, z.T. auf den Milchzähnen, wurde der Kreuzbiss überstellt … Abb. 3: …die seitlichen Schneidezähne eingeordnet und die Okklusion normalisiert. Die Behandlungsdauer betrug nur sechs Monate! 4 5 Abb. 4: In diesem Fall mit 8 mm Frontzahnstufe würde ein deutscher Kieferorthopäde in der Regel an funktionskieferorthopädische Apparate wie den Aktivator denken. – Abb. 5: … tatsächlich wurde die Behandlung nur mit Brackets und intermaxillären Elastiks durchgeführt. Die Behandlungszeit betrug lediglich neuneinhalb Monate – so einfach kann Kieferorthopädie sein! 123 45

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