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Dental Tribune German Edition

International Science DENTALTRIBUNE German Edition · Nr. 6/2015 · 10. Juni 20154 Im Bestellbuch für Montagmorgen ist eine Überweisung aus der Privat- praxis eingetragen: „…mit der Bitte um einen Behandlungsvorschlag bei VorliegeneinerrefraktärenParodon- titis.“ Die Initialbehandlung ist vor Monatenerfolgt,undobwohlsichdie Mundhygiene bei dem Raucher stark gebessert habe, seien die Taschentie- fen kaum zurückgegangen. Sollten also Antibiotika verschrieben wer- den? DieUntersuchungbestätigtzahl- reicheResttaschen,zeigtaberauchei- nen feinen marginalen Plaquebefall an immerhin 80 Prozent der Stellen. Und die Frage nach einer etwaigen Reduktion des Rauchkonsums (ein Päckchen Zigaretten pro Tag) über- rascht den Patienten offenbar… Ist diese Parodontitis nun refraktär – und was ist zu tun? Definition der refraktären Parodontitis ÜberlangeJahregabesinderall- gemeingültigen Klassifikation für Parodontalerkrankungeneineeigene KategoriefürdierefraktäreParodon- titis. Sie war dort als „... fortschrei- tende parodontale Zerstörung trotz optimaler Patientencompliance“13 genau definiert.In der aktuell gelten- den Klassifikation taucht der Termi- nus „refraktäre Parodontitis“ nicht mehr separat auf, aber „refraktär“ kann der Hauptdiagnose vorange- stellt werden (z.B. refraktäre genera- lisierte aggressive Parodontitis)1 . Definitionsgemäß setzt die korrekte Diagnose dieser Parodontitisform nicht nur eine adäquat erfolgte Be- handlung voraus, sondern erfordert zudem die perfekte Mitarbeit des Patienten,beispielsweisehinsichtlich der Mundhygiene – und dem Rauch- verhalten: wahrlich ein hehres Ziel! Und natürlich drängt sich die Frage auf,ob–wenneineTherapiewirklich so perfekt durchgeführt und vom Patienten angenommen wurde – überhauptnochMisserfolgemöglich sind. Eine gute Antwort darauf kann man in einer der aufwendigsten und spannendsten Studien zur Parodon- titis überhaupt finden: Die Studie von Hirschfeld und Wasserman6 aus den 1970er-Jahren umfasst mit 600 Untersuchten nicht nur eine enorme Menge von Patienten, sie erstreckt sich zudem auch über einen Zeit- raum von nicht weniger als durch- schnittlich 22 Jahren. Außerdem kommtsieauseinerPrivatpraxisund dürfte damit dem kritischen Prak- tiker besonders relevant erscheinen. Nach einer aktiven Behandlungs- phase, bei der relativ wenig Zähne entfernt und generell kaum chirurgi- sche Eingriffe durchgeführt wurden sowie keine Antibiotika zum Einsatz kamen, befanden sich alle Patienten dieserretrospektivenStudieineinem vier- bis sechsmonatigen Recall- Intervall. Zu Beginn wurden gut 2.000Zähnealsprognostischzweifel- haft eingeschätzt. Über den enorm langenUntersuchungszeitraumwur- dendavonwenigeralseinDrittelent- fernt – und bemerkenswerterweise wurde der Großteil dieser Zähne bei nur einem Sechstel der Patienten extrahiert. Mehr noch: Gerade mal 25 Patienten wurden in eine Gruppe eingeordnet, die zwischen zehn und 25 Zähne verloren hatten. Diese Gruppe ging mit dem treffenden Na- men „Extreme downhill group“ in die Annalen der Parodontologie ein. Nun kann angenommen werden, dassallenPatientendieserPraxisdas- selbe Maß an therapeutischer Auf- merksamkeit und Motivierung ent- gegengebracht wurde. Trotzdem hatte die Therapie bei Patienten die- ser unglücklichen Gruppe nur unbe- friedigend angeschlagen – und ein Bilderbuchbeispiel für die refraktäre Parodontitis dokumentiert. Diagnostische Fallstricke Einer der wichtigsten Punkte bei der Compliance ist – natürlich – die Mundhygiene. Um deren Qualität wirklich einwandfrei überprüfen zu können,istderTipp,Farbrelevatoren fürdieDarstellungderPlaquezuver- wenden, ebenso trivial wie unver- zichtbar: Während dicke Beläge für den Kliniker mit bloßem Auge ein- facherkennbarsind,istdieDetektion dünner Biofilme, welche gerade mit der aggressiven Parodontitis assozi- iert sind, ohne Relevatorlösungen auch für den Profi kaum möglich. (Abb. 1). Unterm Strich fällt das Ur- teil über die tatsächlich durchge- führte Mundhygiene nicht nur deut- lich strenger, sondern auch wesent- lich spezifischer hinsichtlich der Lo- kalisation von „Schmutznischen“ aus. Die angefärbten Bereiche sind darüber hinaus ein vortreffliches Motivationsinstrument – nicht nur (aberauch!)weilsieaufreibendeDis- kussionen mit dem Patienten, ob die Zähne nun sauber sind oder nicht,in sehr angenehmerWeise abkürzen. Unter Umständen ist das frühzei- tige Erkennen der refraktären Paro- dontitisallerdingsgarnichtsoeinfach. Insbesondere, wenn während der Maintenance-Phase versäumt wird, von Zeit zu Zeit zusätzlich zu den Ta- schentiefen und zum Bluten auf Son- dieren das Attachmentniveau aufzu- nehmen: Das Problem eines „schlei- chenden“ Attachmentverlustes oder stillen Rezidivs kann so insbesondere in Fällen, bei welchen die Mund- hygieneperfektistundgegebenenfalls der Rauchkonsum die Entzündungs- symptomatik abschwächt, leicht übersehenwerden.(Abb.2). Mögliche Alternative zur Diagnose „refraktär“ Es ist inzwischen unabdingbarer Teil der lege artis durchgeführten Parodontitistherapie, bei einer gege- benen Rauchproblematik die Auf- merksamkeit des Patienten auf das (zahn)gesundheitsschädigende Ver- halten zu lenken, eine Rauchreduk- tion einzuleiten und diese aufmerk- sam zu begleiten.4 Wird das verges- sen, sollte man den Terminus refrak- tär nicht strapazieren. Auch der Einfluss einiger allge- meinmedizinischer Erkrankungen auf den parodontalen Zustand und die posttherapeutische Heilung ist relevant2 und muss erfasst werden: Gerade für Diabetes mellitus gibt es eine erstaunlich hohe Dunkelziffer.3 SokommenstatistischaufeinePraxis mit 1.000 Patienten ungefähr 60 Dia- betiker,vondenen20nichtsvonihrer Erkrankung wissen und demenspre- chend auch nicht adäquat eingestellt wurden.InsofernistdieVeranlassung einer Abklärung durch den Hausarzt bei einem verstärkten Verdacht auf Diabetes, wie speziell bei therapiere- sistenten adipösen Patienten fortge- schrittenenAlters,durchaussinnvoll. Wichtig im Zusammenhang mit derrichtigenDiagnosestellungistdie genaue Unterscheidung zwischen Residualtaschen(beispielsweisenach der Therapie sehr tiefer Ausgangs- taschen) und Rezidiven,die nach zu- nächsterfolgreicherBehandlungneu aufflammen. Eine perfekte Behand- lung impliziert die konsequenteAus- therapierungallerparodontalenPro- Refraktäre Parodontitis – Problematische Diagnose und Therapie Sind bei einer perfekt durchgeführten Therapie inkl. optimaler Patientencompliance überhaupt Misserfolge möglich? Von Dr. med. dent. Philipp Sahrmann, Zürich, Schweiz. Abb. 1: Durch Relevatoren lässt sich das tatsächliche Ausmaß des Plaquebefalls objektiv und deutlich darstellen. Grundvoraussetzung für die spezifische Mundhygiene- Instruk- tion… Abb. 2: Obwohl möglicherweise keine vertieften Taschen auftreten kann ein Zahn in der Erhaltungsphase einem progredienten Attachmentverlust unterliegen, der nur durch die Dokumentation der Rezessionen ersichtlich wird. ➟

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