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Dental Tribune Austrian Edition

sierung, Prospektivität etc.) keine konkreten praxisrelevanten Hin- weiseliefert.11–18 Hieristdieevidenz- basierte Beurteilung überfordert und muss durch ärztlichen Sachver- stand mit ganzheitlichem Urteils- vermögen ergänzt werden. 3. Gefäßregulation Die Bedeutung der Parodontal- behandlung als präventivmedizi- nischer Faktor liegt in der Stabili- sierung der Körperschutzzonen, der Kontrolle organbedingter Ent- zündungen und der Verminderung vorschneller Gefäßalterung (Abb. 1). Vergleichbar zum Säureschutz- mantel der Haut mit seinem basi- schen pH-Wert oder der regulatori- schen Muzinschichten des Gastro- intestinaltraktes entlasten orale Biofilme den Körper vor Übersäue- rung durch Entzündung und sind wichtigeSchutzzonenmitAusschei- dungs- und Entgiftungsfunktion zurUmwelt.Langandauerndechro- nische Entzündungen als Folge ei- nes strukturierten Erregerwachs- tums im Biofilm belasten den Kör- per, erhöhen die Gefäßpermeabi- lität (Abb. 2), beschleunigen bei Persistenz die Gefäßalterung und führen mit zunehmendem Lebens- alter zu regionalen Durchblutungs- störungen mit Verhärtung und Ein- engung der Gefäßlumina in den Endstromgebieten der Extremitä- ten. Als Folgeerkrankungen treten Hypertonie, gestörter Fettstoff- wechsel durch Überernährung und Bewegungsmangel mit resultieren- der Insulinresistenz auf. Bluthoch- druck, Übergewicht, Hyperlipidä- mie und Insulinresistenz sind als metabolisches Syndrom der Risiko- faktor Nr. 1 für koronare Herz- erkrankungen weltweit.19,20 4. Körperhaltung Die Einheit von Kiefergelenken und Halswirbelsäule steht in Wech- selwirkung zu den Hüftgelenken. Kraniokaudale Dysfunktionen wie Fehlbisse, Seitenverschiebungen und Kieferfehlstellungen führen häufig zu Mundtrockenheit, Erkäl- tungen, Bronchitiden oder Gleich- gewichtsproblemen bis hin zu Ver- dauungsstörungen. Störungen im Bewegungsapparat (Fehlhaltungen, Asymmetrien, unterschiedliche Beinlängen etc.) resultieren bei mangelnder Dekompensation auf- steigend in erhöhter kraniomandi- bulärer Abnutzung und Degenera- tion. Davon ist nicht nur die Kiefer- gelenk- und Gebissentwicklung bei Kindern und Jugendlichen betrof- fen, sondern auch die Progression parodontaler Schäden im Erwach- senenalter (Abb. 3). Zur Mitbeurteilung kraniokau- daler Haltungsstörungen empfiehlt sich daher eine einfache Gang-, Haltungs- und Funktionsanalyse des Bewegungsapparates.Bei Hand- lungsbedarf erfolgt fachübergrei- fend eine osteopathische, physio- therapeutische oder orthopädische Behandlung. Zusammen mit einer intraoralen Schienentherapie resul- tiert eine funktionelle Entlastung mit nachfolgender Selbstregula- tion.21, 22 Neben der Schmerzreduk- tion und Auflösung der körper- lichen Fehlhaltung wird aufsteigend der funktionell geschwächte Kiefer- knochen entlastet. 5. Lebensalter In der Behandlung älterer Men- schen mit chronischen Erkrankun- gen – dazu zählen auch die Erkran- kungen des Mundes – nimmt mit zunehmendem Lebensalter (50 plus) die Reservekapazität des Immun- systems ab, die Belastungsfähigkeit für komplexe Behandlungen sinkt. Müdigkeit, Erschöpfung, Kopf-, Muskel-undGelenkbeschwerdenoder OrgandruckschmerzsindersteSymp- tome. Folgende Medizinbefunde mit resultierender Gesundheitsgefähr- dung werden diagnostisch sichtbar: 1.Gefäßablagerungen mit Schädi- gung der Endothelzellschicht auf- grund von stetigem Kontakt mit Abbau-undZerfallsproduktenaus Körperstaufeldern (Entzündung), Fettverbindungen (Ernährung und Bewegung) und Giftstoffen (Rauchen) (Abb. 4). 2.Arteriosklerotisch verengtes Ge- fäßlumen als Folge der auf tiefere Bereiche der Arterienwand über- greifender Entzündungsreaktion (Abb. 5). 3.Endoprothesen mit Implantat- lockerung als Folge des Material- abriebs mit Fremdkörperreaktion (Entzündung), Ödem (lympho- zytärem Stau) und Aufweitung des Interfaces (mechanische Be- lastung) (Abb. 6). Die klinisch bereits im Alter von 30 bis 40 Jahren einsetzende Dekompensation einzelner Organ- abschnitte wird verdrängt und führt erst nach klinischer Auffälligkeit im Lebensalltag durch Einschränkung oder Ausfall zur ärztlichen Unter- suchung. Ein Zeitversatz zwischen Erkrankungs- und Behandlungs- beginn von mehr als 5 Jahren (Angst) ist medizinische Regel. Diese Analogie gilt ebenso für Paro- dontalpatienten und verdeutlicht die medizinische Notwendigkeit der parodontalen Therapie bereits im mittleren Lebensalter.23,24 6. Lebenserwartung Die in höherem Lebensalter (65 plus) auftretenden Risikofak- toren wie geschwächte körperliche Reservekraft,Infektanfälligkeit(ins- besondere gegenüber unbekannten Erregern), verzögerte Heilung mit zeitintensiver Pflege und erhöhtem Komplikationsrisiko bei endo- und implantatprothetischer Therapie (Dekompensation, Gefäßembolie) werden mit einer konsequenten Lebenshygiene (Ernährung, Pflege, Schlaf) weitgehend aufgefangen. Die persönliche Lebensführung beinhaltet eine ausgewogene Ernäh- rung und Bewegung zur Balancie- rung der Energiebilanz von Kohlen- hydraten und Fetten. Zum Aufbau und Stabilisierung der Körper- schutzzonen (Biofilme) und weite- ren Schutz vor Entzündungen wird eine bewusste Körperpflege immer wichtiger. 25, 26 Im Zusammenhang mit einer kontrollierten Körperhygiene liegt der medizinische Nutzen einer opti- mierten Mundpflege einschließlich der Parodontalbehandlung in einer Verringerung der Gefäßpermeabili- tat und dem daraus resultierenden erhöhten „Schadensschutz“. Dieser Kommunikationsfokus sollte im ärztlichen Tagesgeschäft kompetent und mit Vorbildfunktion realisiert werden. 7. Implantatmedizin Endoprothetische und kardiale ImplantatesindvonNaturausfunk- tionell in den Körper integriert. Sie entwickeln sich zum Gefährdungs- potenzial, sobald Implantatkno- chenschäden (Hüfte, Knie) durch Zementverluste oder Aufbiegung, Überlastung oder Infektion aus Streuregionen (Mund) ein Eindrin- genvonErregernindieHaversschen Kanäle ermöglichen. Das Risiko bei kardialen Implantaten (Schritt- macher) liegt in der Dislokation in Spalträume, der Inaktivierung (Klappen) durch Zerfallsprodukte, Fibrinnetze etc. oder in thrombo- embolischemVerschlussmitNekrosen (Stent).Gelenkimplantate reagieren mit Entzündung, Schmerzbildung und nachfolgender Bewegungs- einschränkung, orale Implantate mittels Mukositis mit resultierender Periimplantitis.Zur Optimierung des Körperschutzes vor Entzündungen im Zusammenhang mit Implantat- ersatz ist eine systematische Paro- dontaltherapie (Hygiene) vor jeder Implantatversorgung (Schrittmacher, Klappen, Hüft- und Knieendopro- thesen) dringlichst zu empfehlen.27 Bei weit fortgeschrittener Parodon- titis und nicht mehr hygienefähigen ZähnensindZahnentfernungenun- umgänglich. 8. Handlungsempfehlungen Aus den genannten Struktur- bausteinen Alter (Immunabwehr), Prävention(Verantwortung),Gefäß- schutz (Vaskularisation) und Ortho- pädie (Statik) sind zum Entzün- dungsschutz folgende medizinische Beobachtungen ratsam. Sie dienen vornehmlichderzielgerichtetenAus- schlussdiagnostik von Schadensfak- toren für Parodontalerkrankungen und sollten bei jeder ärztlichen Untersuchungdurchgeführtwerden: a.Mundgeruch: Olfaktorische Beur- teilung (Geruch) und Trockenheit. b.Rauchen: Gilt als Suchterkran- kung und wird auch als solche mit dem Patienten besprochen. c.Stoffwechselerkrankungen: Dia- betes mellitus Typ I und II mit reduzierterVaskularisation in den Endstromgebieten (Auge, Zahn- halteapparat,Extremitäten). d.Großes Blutbild mit besonderer Beachtung der HbA1c-Werte, der Leukozytenzahl, der Leberwerte (Transaminasen GOT, GPT etc.), des Gesamtcholesterins sowie der HDL- und LDL-Fraktion und der Osteoporose-Marker (alkalische Phosphatase) (Abb. 7).28,29 e.Funktions-undHaltungsschäden: Gang (schief), Haltung (Torsion, Flexion), und funktionelle Belas- tung (Asymmetrie, Gelenkkom- pression usw.). Zur Therapie kardialer Erkran- kungen (Herzinfarkt, Bypass, Herz- rhythmusstörungen, Endokarditis), Immunerkrankungen (Rheuma, CED, HIV-Infektion, Schilddrüsen- unterfunktion und Hashimoto, Tu- morleiden, Organtransplantation) oderhirnorganischerSchäden(Tran- sitorische ischämische Attacke [TIA] undSchlaganfall)solltederparodon- tale Schadenszustand unmittelbar beurteilt und therapiert werden. 9. Zusammenfassung Langfristige Behandlungserfolge in der Medizin setzen ein ganzheitli- ches Verständnis für die Erkrankun- gen des Menschen,ein hohes Maß an Urteilsfähigkeit für die notwendige Therapie und eine defensive Thera- piewahl voraus. Die Wertschöpfung der Parodontalbehandlung liegt in der Kontrolle organbedingter Ent- zündungen, der Stabilisierung der KörperschutzzonenundderVermin- derung vorschneller Gefäßalterung. Die Therapie der Parodontitis liefert einen Grundbeitrag zur Förderung der Allgemeingesundheit. Die sys- tematische Parodontalbehandlung ist forensisch wichtig vor kardio- logischer, kardiochirurgischer und endoprothetischer Implantation. Bei internistischer und orthopädischer Therapie ist eine therapiebegleitende Sanierung erforder- lich. DT International Science DENTALTRIBUNE Austrian Edition · Nr. 4/2014 · 2. April 20146 Literaturliste Prof.Dr.RainerBuchmann Fachzahnarzt Parodontologie Königsallee 12 40212 Düsseldorf,Deutschland Tel.: +49 211 8629120 info@rainer-buchmann.de www.rainer-buchmann.de Kontakt Infos zum Autor ➟ Abb. 5: Beginnender arteriosklerotischer Gefäßverschluss der Karotis als Folge der auf tiefere Bereiche der Arterienwand übergreifenden Entzündungsreaktion, Makroangiopathie (Neurologie, Universität Mainz). – Abb. 6: Bei Patienten mit Hüft- oder Kniegelenk- endoprothesen können sich mit zunehmender Implantationsdauer als Folge des Materialabriebs Entzündungszellinfiltrate mit makrophagenreicher Fremdkörperreaktion, lymphozytärer Infiltration und Aufweitung des Interfaces durch aseptische Lockerung entwickeln.– Abb.7: Das große Blutbild mit dem Fokus auf Leukozytenzahl,Leberwerte,Blutfette und HbA1c erfolgt zurAusschluss- diagnostik medizinischer Schadensfaktoren. 7 5 6