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Dental Tribune German Edition

Standardisiertes Motivationsgespräch Im Zeitalter von „Periodontal Medicine“ geht es beileibe nicht mehr nur um den Verbleib von Zähnen in einer Mundhöhle, son- dernvieleherumeineMundhöhle, die frei ist von chronischer Ent- zündung. So ist meines Erachtens heute auch eine Mundhöhle voller, auf Berührung blutender Papillen, nicht mehr nur als eine zu ver- nachlässigende lokale Entzündung zu betrachten, sondern muss viel- mehr als ernstzunehmender Bei- trag zum Risiko des gesamten chronischen Entzündungspools eines Organismus mit all seinen bekannten Konsequenzen be- trachtet und als solcher dem Pa- tienten zum Bewusstsein gebracht werden. Nur ein sehr hoher Standard bei der täglichen Mundhygiene und eine hohe Qualität an professionel- ler Hilfestellung und regelmäßiger Erhaltungstherapie durch hoch- motiviertes und gut ausgebildetes Hilfspersonal kann dieses Ziel er- reichen. Dies beginnt in unserer Praxis bei der ersten Sitzung des schmerzfreien Patienten mit sei- nem zukünftigen Behandler. Dabei haben wir in den letzten dreißig Jahren ein standardisiertes Moti- vationsgespräch entwickelt,das aus drei Teilen besteht: 1.Die intraorale Demonstration des Bezugs zwischen gingiva- nahem Belag und Blutung sowie einerbelagsfreien,gesundenStelle ohne Gingivablutung (Abb. 1). 2.Pathogenesezeichnung, welche die Entwicklung der papillären Entzündung und ihre Risiken für die orale und systemische Ge- sundheit auf der Basis der heuti- gen wissenschaftlichen Erkennt- nisse verständlich entwickelt, und daraus die korrekte Mund- hygienefrequenz sowie die fall- spezifisch richtigen Hilfsmittel, zeichnerisch erklärt (Abb. 2).3 3.Die Erstdemonstration dieser Hygienehilfsmittel konsequent durch sämtliche Interdentalräu- me und Oral-/Lingualflächen, sowie die Erklärung ihrer tech- nisch richtigen Anwendung; Ein- führung der Rolle der Hygienike- rin während der Hygienephase und des gesamten Therapie- verlaufs und posttherapeutisch durch den Zahnarzt selbst so- wie Einbettung einer ganz grob beschriebenen Therapievorstel- lung in die Sitzungen bei der Hygienikerin und deren Funk- tion als Hilfestellerin bei der Ver- wirklichung dieser Vorgaben auf Dauer (Abb. 3). Diese Vorgehensweise bei der ersten Sitzung ist essenziell und wurde über drei Jahrzehnte, moti- viert durch den kontinuierlichen Erfolg,verfeinertunddemneuesten wissenschaftlichen Stand ange- passt. Bei vielen Patienten löst sie eine direkte persönliche Betrof- fenheit aus und macht die Pforten für eine mögliche Verhaltensän- derung bei den täglichen Hygiene- gewohnheiten in ihrer Mundhöhle weit auf. Es ist so gut wie nie eine Frage, dass neue Patienten im Anschluss an diese Sitzung ihre Termine bei der Hygienikerin gerne vereinba- ren, auch wenn ihr Kostenträger dafür nicht aufkommt.Aufwendige Behandlungen beginnen wir erst, wenn der Entzündungswert für eine papilläre Blutung (PBI) in ak- zeptable Bereiche kommt. Bei der Behandlungsplanung und Terminvergabe folgen wir der Systematik von Ramfjord als Grundschema für alle Patienten: • Systemische Phase • Hygienephase I und II • Korrektive Phase I und II • Posttherapeutische Betreuung (modifiziert) • Erhaltungsphase Verwendung von Mundhygienemitteln – wirklich notwendig? Was den Erfolg dieser gesamten Aktivitäten zur Patientenmotiva- tion und Betreuung sowie zur wirkungsvollen häuslichen Mund- hygieneunsererPatientenanbelangt, sowurdeesindenletztenJahrenim- mer klarer, dass nur Zahnärzte und Hygieniker/-innen mit ständiger Selbsterfahrung durch Einbindung ihrer eigenen Mundhöhle in das BetreuungssystemihrerPraxisdazu in der Lage sind.4 Dazu gehören neben der qualifizierten Basisaus- bildungauf demGebietderPräven- tion und kontinuierlich erneuerten wissenschaftlichen Weiterbildung auch Erkenntnisse auf dem Gebiet der medizinischen Psychologie, die allerdings bisher wenig systemati- siert sind und eher aus dem Um- gangsbereich mit den Problemen des Nikotin- und Drogenabusus stammen5 und so nicht direkt über- tragbar erscheinen. Hier sind dringend neue Denk- ansätze auf der Basis positiver empirischer und theoretischer Er- kenntnisse vonnöten. Wir bauen bis dato auf unser System. Auch die vorhandenen Studien zurWirk- samkeit einzelner Mundhygiene- mittel, vor allem auf dem Gebiet der Interdentalhygiene, sind bei näherer Betrachtung eher dürftig.6 So gibt es bis heute keine einzige Untersuchung, die den täglichen Einsatz von Zahnseide wissen- schaftlich rechtfertigen würde. Da- bei ist einArtikel wie das Dentotape der Firma Johnson & Johnson seit 1898 im Handel (Abb. 4). Eine zeitgenössische verglei- chendeUntersuchungzurWirksam- keit einer Mundspüllösung im Ver- gleich zur Zahnseide sieht so aus, dass den Patienten zur Instruktion und Motivation für maximal zwei Minuten an einem Zahnmodell der Gebrauch von Zahnseide gezeigt wurde.So wird verständlich,warum die Gruppe der Zahnseideanwender schlechter abschneidet.7 In einer anderen Studie wird die Anwendung von Interdental- bürstchen der Zahnseide vorge- zogen, ohne zu wissen, welche Hy- gienemittel diese Patienten vorab der Studie gewohnheitsmäßig be- reits eingesetzt haben.8 Aus einer weiteren Studie zur Kariespräven- tion geht hervor, dass Zahnseide überhaupt nur dann eine Wirkung zeigt, wenn sie von Profis, also von Dentalhygienikerinnen durch- geführt wird.9 Unabhängig von der Wahl der Hygienehilfsmittel ist klar, dass es besonders am erkrankten Pa- tienten Situationen gibt, bei de- nen jedes dieser beiden Hilfsmittel lokal spezifische Mängel und Vor- teile besitzt, die der Fachmann beachten und beherrschen muss (Abb. 5a und b). So ist z.B. nur Zahnseide in der Lage, iatrogen produzierte Schä- den an zahnärztlichen Zahnres- taurationen zu identifizieren und rechtzeitig zu bemängeln. Es ist seit Langem bekannt, dass solche Hy- gieneobstruktionen beim paro- dontal erkrankten Patienten nicht nur zu Entzündung, sondern zu zusätzlichem Attachmentverlust, also zu iatrogenen Schäden führen (Abb. 6).10 Die Erkenntnis, dass alle Hy- gienehilfsmittel, insbesondere für den Interdentalraum, intensive Hilfestellung und Training zur wirkungsvollen Durchführung be- nötigen, hat dazu geführt, dass wir unseren Patienten als einen zusätzlichen Baustein ein Lern- video in drei Sprachen auf unse- rer Website zur Verfügung stellen (www.wolfstrasse.com). Als Verlaufskontrolle für die Behandler und Motivationskurve für die Patienten dient uns im Rah- men der Hygienephase der PBI11 bzw. im Rahmen der Erhaltungs- therapie der BOP.12 In diesem Zusammenhang tritt natürlich immer wieder auch die Frage auf, wie qualifiziert muss die Ausbildung unserer „Co-Therapeu- ten“Dentalhygienikersein?Speziell bei den Ausbildungsgängen in Deutschland, egal ob nun mit oder ohne Bachelor, erscheint mir nicht mehr so sehr der theoretische Um- fang der Ausbildung, als vielmehr der praktisch klinische Anteil am Patienten ein Problem zu sein. Zahnärzte bzw. PA-Spezialisten als Ausbilder innerhalb ihrer Pra- xen sind meist nicht trainiert, Scaling und Root Planing aus dem Ellenbogen und der Schulter zu unterrichten, sondern wenn über- haupt,dann werden sie aus der Pra- xisroutine das sogenannte„Picking“ vermitteln können, was für die Berufsgruppe der tagaus, tagein „Instrumentierer“ die völlig falsche Muskulatur trainiert und damit frühzeitig zu den entsprechenden Berufskrankheiten wie Karpal- tunnelsyndrom oder Tennisarm führt.13 Die Zahnarztpraxis der Zukunft Ein zusammengeführtes Team aus Allgemeinpraktikern und Spe- zialisten ist ohne eine Dentalhygie- nikerin, die nach internationalem Niveau ausgebildet ist, nicht denk- bar! Parodontale Aspekte und Kenntnisse in der Parodontologie sind nicht nur in der Restaura- tiven Zahnheilkunde erfolgsent- scheidend, sondern auch in der Kieferorthopädie und der Implan- tologie. Eine perfekt aufgestellte Zahnreihe bedeutet per se bereits Karies- bzw. Parodontitisprävention. Umgekehrt heilt durch das Auf- richten und die Intrusion ein vorab parodontal erkrankter Zahn da- durch erst richtig aus (Abb. 7). Erfolgreiche Implantologie ist auf dieDauernurrealisierbar,wenn die Techniken der perioplastischen Chirurgie beherrscht werden und so immer ein breites Hart- und Weichgewebsangebot, das auf der Unterlage verwachsen ist, kreiert werden kann (Abb. 8a–c). Es ist somit die Parodontologie und ihr gesamtes wissenschaftli- ches Umfeld, welche ganz wesent- lich die Nachhaltigkeit unseres zahnärztlichen Tuns erst ermög- licht, und dadurch ganz offen- sichtlich nicht nur zu einer wesent- lichen Verbesserung der Lebensqualität, sondern auch zur Allgemeingesund- heit und damit zur Lebensdauer bei- trägt. PT 8a7 65a4 5b 8c8b State of the Art PERIOTRIBUNE German Edition · Nr. 12/2013 · 4. Dezember 201318 Á Fortsetzung von Seite 17 Dr.NorbertSalenbauch Wolfstraße 9 73033 Göppingen salenbauch@t-online.de www.wolfstrasse.com Kontakt Literaturliste Infos zum Autor Abb. 4: Zahnseide und Dentotape der Firma Jonson & Johnson werden seit 1898 mit gleichbleibender Qualität vertrieben. – Abb. 5a und b: Interdentalbürstchen erreichen sulkusnahe Bereiche im Gegensatz zum Dentotape oft nicht, sicherlich ein Problem beim PA-erkrankten Patienten. – Abb. 6: Nur Zahnseide oder Tape ist in der Lage, Obstruktionen an Füllungs- oder Kronenrändern zu identifizieren. – Abb. 7: Aufgerichteter zweiter Molar nach Entfernung eines verlagerten Weisheitszahns und der konservativen Therapie einer parodontalen Tasche von 6 mm mesial. – Abb. 8a–c: Schaffung von Attached Gingiva und Verdickung der gesamten Weichgewebe um Implantate, beides sind erwiesene Kriterien für die Vermeidung von Periimplantitis.