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Dental Tribune Austrian Edition

DENTALTRIBUNE Austrian Edition · Nr. 9/2013 · 4. September 2013 International Interview 9 Kiefernekrose. Ganz kurz gesagt: Die Therapie der manifesten Kie- fernekroseistinderüberwiegenden Mehrzahl der Fälle in die Hände des MKG-Chirurgen gelegt. Wir wissen heute, dass die alte Diskussion aus dem angloamerika- nischen und dem europäischen Be- reich (eher wenig oder eher doch invasiveroperieren)wissenschaftlich geklärtist.Wennmanesmitentspre- chenden, in der Leitlinie hinterleg- ten Kautelen operativ angeht und die entsprechenden Rahmenbedin- gungen stimmen, sind die Erfolgs- aussichten für den Patienten, die Nekrose zur Ausheilung zu brin- gen, deutlich höher (20 Prozent zu 80 Prozent Ausheilungsrate). Diese Frage ist also beantwortet. In der Prävention sind wir auch schon einen wesentlichen Schritt weiter.Wirwissen,wasdiewichtigs- ten Inhalte sind, um unter Kiefer- eingriffen das Risiko einer Nekrose zu vermindern, das heißt, in erster Linie eine antibiotische Abschir- mung zu realisieren (perioperativ, d.h. Einnehmen des Antibiotikums vor der Operation). Zweitens – atraumatisches Operieren, aber dazu gehört unbedingt, dass alle scharfen Knochenkanten geglättet werden müssen. Man sollte sich wieder die Pharmakologie klar- machen: Diese Patienten glätten ihre scharfen Knochenkanten nicht selbst, d.h. sie spießen eventuell Wochen später durch die Schleim- haut durch und geben dann Anlass für eine Kiefernekrose. Ein weite- rer, ganz wesentlicher Punkt: Jede offene Kieferwunde muss plastisch gedeckt, muss vernäht werden. Wenn man diese Basiskautelen ein- hält, dann sind die Voraussetzun- gen gegeben, dass man bei not- wendigen operativen Maßnahmen das Risiko der Kiefernekrose sehr gering halten kann. Es gehört ja für den behandelnden Zahnarzt auch dazu, das Thema Früherkennung richtig anzuge- hen. Was sind dabei die wichtigs- ten Kriterien? Als ganz wichtigen Punkt möchte ich an den Anfang der Be- antwortung Ihrer Frage stellen, was NICHT zu beachten ist – nämlich der Schmerz. Er ist kein Leitsymp- tom der Kiefernekrose. Das Fehlen des Schmerzes sagt nichts darüber aus, ob eine Kiefernekrose vorliegt oder nicht. Das ist bemerkt worden, als man bei retrospektiven Unter- suchungen mittels Telefoninter- views sehr häufig auf die Frage, ob Beschwerden im Kiefer aufgetreten sind, mit NEIN geantwortet wurde. Somit kann von einer großen Dun- kelziffer an vorhandenen Kieferne- krosen ausgegangen werden, die in diese statistischen Erhebungen gar nicht aufgenommen wurden. Des- halb ist die Inspektion der Mund- höhle von herausragender Bedeu- tung. Sie rückt in den Mittelpunkt der Früherkennung, weil man auch unter den radiologischen, unter den bildgebenden Diagnostiken fast nichts an der Hand hat, was uns pathognomonische Indizien für das Vorliegen einer Nekrose liefert. Wenn das so wäre,dann würden alle Bisphosphonat-Verordnenden, die bei der Anwendung von Computer- tomogrammen und ionisierenden Strahlen sehr wenige Hemmungen haben,ihrePatienteneinmalimJahr durch das CT (Kopf/Hals) schicken, dem Radiologen die Verantwortung zuordnen, dass dort keine Auffällig- keiten sind, und damit sozusagen eine scheinbare Früherkennung durchführen. In Wirklichkeit – und das ist das Entscheidende – bedarf es der fachkundigen Inspektion der Mundhöhle durch den Hauszahn- arzt. Freiliegender Kieferknochen ist das wichtigste Leitsymptom, und jede floride Entzündung, die nicht durch Behandlung einer Inflamma- tion zu einer Ausheilung gebracht werden kann, ist ein Risikofaktor, d.h.alsoFrüherkennungunddauer- hafte Prävention gehen dort sozu- sagen miteinander Hand in Hand. Die Bedeutung des Hauszahnarztes in der Betreuung dieser Patienten ist unschätzbar. Auch wenn er dann manifeste Nekrosen überweist,auch wenn er operative Maßnahmen zu einer noch höheren Präventions- kategorie zur Operation überweist – in der eigentlichen Betreuung ist der Hauszahnarzt die Schlüsselfigur! Jetzt würde ich noch einmal das Thema Prophylaxe vor der Thera- pie aufgreifen. Letztlich ist das ja etwas, was alle Patienten angeht, nicht nur die Bisphosphonat- Patienten. Inwieweit aber unter- scheidet sich in der Therapie eine Patientengruppe,diebisphospho- natvorbelastet sein könnte, von normalen Patienten? UnsereVisionist,dassjederBis- phosphonat-Patient vor Aufnahme der Bisphosphonat- oder auch Denosumab-Medikation seinen Hauszahnarzt aufsucht und sich ganz aktuell dahingehend untersu- chen lässt, ob irgendwo eine Infek- tionseintrittspforte oder eine chro- nische Infektion vorliegen und er diese entweder vor oder mit Beginn der Bisphosphonat-Therapie über- lappend therapieren lässt. Wichtig ist dabei, zu erreichen, dass die Bis- phosphonat-Verordnenden dieses als notwendig erkennen.Das haben wir durch die Konsensuierung innerhalb der S3-Leitlinie versucht auf den Weg zu bringen, machen dort aber im Sinne der Implemen- tierung immer noch Aufklärungs- arbeit. Der Krebs-Kongress lädt mich jetzt seit Jahren zu Vorträgen ein, weil die unterschiedlichen Facharztgruppierungen an Bis- phosphonat-Verordnenden sich unterrichten lassen wollen. Das ist auf demWeg–aberdasZielistnoch nicht erreicht. Der zweite Punkt ist folgender: Beim Patienten muss ein anderes Bewusstsein geschaffen werden, und das betrifft die Kommunika- tion Patient –Zahnarzt. Jeder kennt die Situation, dass ein Hauszahn- arzt sagt, ein drittgradig gelocker- ter, also nicht mehr erhaltbarer Zahn muss entfernt werden, und die typische Antwort gerade des Patienten, der schon Zähne verlo- ren hat, lautet „Herr Doktor/Frau Doktor, nicht schon wieder einen Zahn verlieren“. Das ist eine rein psychologische Herangehensweise durch den Patienten. MandarfindiesemDialogdann nicht ermüden und sagen, der Pa- tient möge den Zahn so lange be- halten, bis er spontan ausfällt. Man muss ihm bewusst machen, dass die Problematik über den reinen Zahnverlust hinausgeht,dass damit sein Kiefer gefährdet ist und dass die Lebensqualität mitVerlust eines Teils des Kiefers nachhaltig ver- schlechtert werden kann. Neben der wissenschaftlichen Implemen- tierung ist die Kommunikation mit demPatientenvonenormerBedeu- tung, auch die der jeweiligen Fach- arztgruppen mit dem Patienten, um Empfehlungen aussprechen zu können. Herr Prof. Grötz, die Implantat- therapie war noch nicht von An- fang an im Fokus der zahnmedi- zinischen Therapien für Bisphos- phonat-Patienten. Wie erklärt sich das bzw. was hat sich dahin- gehend schon geändert? Implantate haben einerseits einen wirklichen Siegeszug in der Rehabilitation des Kauvermögens und der Kaufunktion angetreten, und wir können uns die Implanto- logie aus der heutigen Versorgung auchvonkompromittiertenPatien- ten, von onkologischen Patienten, die ein Kopf/Hals-onkologisches Problem haben, gar nicht mehr wegdenken. Aber mit dem Aufkommen der Erstbeschreibungen der Nekrosen gab es sofort ein ängstliches Zu- rückzucken bei Implantologen, die gesagt haben, auf gar keinen Fall möchte ich durch ein Implantat – als elektiven Eingriff – das Risiko eingehen, eine Nekrose auszulösen. Das hat dann recht schnell zu einer nichtwissenschaftlichen Formulie- rung einer Kontraindikation ge- führt. Die Kontraindikation ist immer eine schwierige Begrifflich- keit, weil sie apodiktisch ist, weil sie eine Therapie tatsächlich verbietet unddamitunsereDiagnosefindung eigentlich verhindert. Und wir können uns gar nicht mehr als ap- probierte Menschen intellektuell mit der Fragestellung auseinander- setzen. Deshalb werben wir in den letz- ten Jahren dafür, diesen Begriff Kontraindikation durch den Ter- minus Indikationseinschränkung zu ersetzen, die unterschiedlich ausgeprägt sein kann. Niedrig aus- geprägt heißt, es kann sehr wohl implantiert werden, und mittel bzw.hoch ausgeprägt heißt,es kann unter bestimmten Bedingungen implantiert werden. Jetzt kommen wir sozusagen zu einem Indikationsalgorithmus, bei dem wir uns fragen: Erstens, wie hoch ist denn das individuelle Risiko für diesen Patienten, eine Kiefernekrose zu entwickeln. Zwei- tens, birgt das Implantat wirklich nur Risiken für die Kiefernekrose oderschafftesüberdieVermeidung von Kiefernekrosen auf der Basis von Prothesendruckstellen sogar, dieses Risiko zu senken. Und drit- tens: Ist neben der eigentlichen Implantationimortsständigenknö- chernen Lager auch noch eine aug- mentative Maßnahme erforderlich, von der wir nicht wirklich wissen, wie der Bisphosphonat-Patient pharmakologisch getriggert damit umgeht. Wenn wir diese drei Zu- gangswege insgesamt betrachten, kommen wir eigentlich bei nahezu jedem Patienten zu einem ärzt- lichen Empfehlungsgrad zwischen „absolutempfehlungswürdig“oder „mäßigeEmpfehlung“. InjedemFall wird man mit dem Patienten das Ergebnis besprechen, ihm die Vor- und Nachteile darlegen und dann gemeinsam für oder gegen eine Im- plantation entscheiden. Das schafft den aufgeklärten Patienten und uns letztlich die Möglichkeit, wirklich nach medizinischen und intellek- tuell fassbaren Kriterien die Im- plantationsindikation zu fassen. Um diese Indikation richtig fassen zu können, dient ja am Ende auch dieser Laufzettel, den Sie im Rah- men einer DGI-Konsensus-Veran- staltungerstellthaben.Wiegelangt der Zahnarzt an diesen Laufzettel? Die DGI ist ein wirklich großer und aktiver wissenschaftlicher Ver- ein, der sich um die Implantologie kümmert. Die DGI-Website findet man sehr leicht. Es gibt 10.000 Mit- glieder der DGI,die regelmäßig mit Informationen ausgestattet wer- den. Im Auftrag der DGI haben wir – abgeleitet von dem ASORS-Zettel – ein reines Risikoevaluations- papier entwickelt,das vor einer Im- plantation ausgefüllt werden kann. Inihmistguterkennbar–mitfarbi- gerMarkierung(grün,gelbundrot) – die niedrige, mittlere oder hohe Risikograduierung.Zudemsinddie einzelnen Faktoren aufgeführt, so- dass, wenn man diesen DGI-Zettel systematisch durcharbeitet, eine hervorragende Dokumentation des Risikoprofils erhält und zu einer Indikation findet. Damit hat man eine hervorragende Basis für die Beratung und kann auch seine Empfehlung mit einem gesunden wissenschaftlichen und medizini- schen Fundament untermauern. Herr Prof. Grötz, ich danke Ihnen für das wirklich sehr aufschluss- reiche Interview.Ganz sicher wird uns das Thema auch in den nächs- ten Monaten und Jahren beglei- ten, denn die Forschung wird die bestehenden Diagnose- und The- rapiestrategien für Bisphospho- nat-Patienten weiterentwickeln oder gar neue Ansätze aufgreifen. Nochmals vielen Dank. DagebeichIhnen recht, Herr Isbaner. Vielen Dank für Ihr Interesse. Weitere Informationen: www.dginet.de DT „Unsere Vision ist, dass jeder Bisphosphonat-Patient vor Aufnahme der Bisphosphonat- oder auch Denosumab-Medikation seinen Hauszahnarzt aufsucht.“ Prof.Dr.Grötz:„DieInspektionderMundhöhlerücktindenMittelpunktderFrüherkennungvonKiefernekrosen.“(Foto:OEMUSMEDIAAG) Infos zum Autor DGI-Laufzettel „Prof. Dr. Dr. Grötz“ [Info]