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Dental Tribune Austrian Edition

International Science DENTALTRIBUNE Austrian Edition · Nr. 4/2012 · 4. April 20128 EinBeispielzeigt,wiedaspassierenkann. DerVatereinesKindesmiteinemhohen Endokarditisrisiko bat um eine konti- nuierliche professionelle Mundhygiene- unterstützungbeiseinemKindanseinem Wohnort in Brandenburg. Die Kollegin verwies den Vater an die Berliner Zahn- klinik,weilsiemeinte,dasRisikoderBe- handlung nicht tragen zu können. Für An- und Abfahrtwege einschließlich der eigentlichen zahnmedizinischen Maß- nahmemusstesichderVaterjeweilseinen freien Tag bei seinem Arbeitgeber erbit- ten. Bei einer Fortbildung für Eltern im Deutschen Herzzentrum Berlin verriet dieser Vater, nicht mehr den Herzfehler seinesKindesinderAnamnesezuerwäh- nen,umsichdenAufwandderFahrtnach Berlinzuersparen. Vergesslichkeit ist ein weiterer Fak- tor, der die Anamnese verfälschen kann. Aber auch die nicht sorgfältig erhobene Anamnese ist als Fehlerquelle denkbar. Ein Herzpass sollte von betroffenen Pa- tienten ungefragt dem jeweiligen Arzt oderZahnarztfüranamnestischeZwecke vorgelegtwerden(Abb.11).Dieserwurde in den letzten 25 Jahren dreimal über- arbeitetundjeweilsandersgewichtet.Vor 1997wurdebeiHochrisikopatientenvor einemblutigenEingriff–besondersbak- teriämieträchtig an einem entzündeten Sulkus gingivae – eine intravenöse anti- biotischePrämedikationfürerforderlich gehalten(Abb.12). Eine Stunde vor einem blutigen zahnmedizinischen Eingriff erfolgte die intravenöse Prämedikation und sechs Stunden nach dem Eingriff erfolgte nochmalseinereduzierteGabedesAnti- biotikums. Nach 1997 wurde nur noch oral prämediziert.14 Als ein Nebeneffekt trat auch eine wohltuende Vereinheit- lichung der Herzpässe ein. Nicht jede medizinische Gesellschaft meinte, einen eigenen Herzpass herausgeben zu müs- sen, sondern man einigte sich auf den derGrünenthalGmbH(Aachen).Esgab einen roten und einen blauen Herzpass, entsprechendfürdiePatientenmitmitt- lerem und hohem Endokarditisrisiko (Abb.11).BeimrotenHerzpasswurdebei Kindern eine Stunde vor dem Eingriff entweder mit 50 mg/kg Körpergewicht mit einem Breitbandpenicillin, meist Amoxicillin,prämediziertund15mg/kg KörpergewichtsechsStundennachdem Eingriff. Beim blauen Herzpass wurde nur eine Stunde vor dem jeweiligen Ein- griffprämediziert.13–15 Seit2007werdennurnochdieHoch- risikopatienten antibiotisch prämedi- ziert (Tabelle 3).16 Bei welchen zahn- ärztlichenMaßnahmendieAntibiosebei diesen Patienten nicht vergessen werden darf, zeigt Tabelle 4. Man sollte aber als ZahnarztnichtaufdieIdeekommen,dass alle alten blauen Herzpässe nun bedeu- ten, dass der Patient keine antibiotische Prophylaxemehrbenötigt,sondernesist nach wie vor die individuelle Entschei- dungdesKardiologen,eineantibiotische Prophylaxe vor einem zahnärztlichen Eingriff für seinen Patienten von uns zu fordern.DeraktuelleHerzpass(Abb.11) sollte für jeden Patienten angestrebt werden. Dadurch wird deutlich, ob der behandelnde Kardiologe noch eine anti- biotische Prävention für erforderlich hält. Ein Telefonat zwischen Kardiologe und Zahnarzt über dessen therapeuti- sche Vorhaben ermöglicht dem Arzt, UmfangundzuerwartendeBakteriämie einzuschätzen und Empfehlungen zur Antibiosezugeben.16–18 Bei einigen wenigen Patienten be- stehteinePenicillinallergie,dannistClin- damycin das Mittel der zweiten Wahl. AbergeradebeiKindernwirdoftmalsvon einerAllergiegesprochen,dieinWirklich- keit gar nicht besteht und demzufolge bekommtdasKindfürdenRestseinesLe- bensnurdaszweitbesteMedikamentmit denentsprechendhöherenRisiken.9 Eine Allergie sollte immer durch einen Aller- gietestbelegtsein.Eshandeltsichansons- ten oftmals um eine Toxergie,die weiter- hin die Einnahme von Penicillin ermög- lichen würde. Wie Clindamycin dosiert werden muss und welche dritte Alter- nativesichbietet,zeigtTabelle5. Wie entsteht ein Herzfehler? Ein Herzfehler kann in den ersten Schwangerschaftswochen entstehen und in allen Phasen der Herzentwicklung auftreten. Daher sind viele verschiedene Herzfehler möglich. Die Erstbeschrei- bung eines angeborenen Herzfehlers gehört Leonardo daVinci:„I have found from A, left auricle to B, right auricle, a perforating channel fromA to B which I note here to see whether this occurs in otherauriclesorotherhearts“(Quarderni d’Anatomia II [1513]). Dabei beschreibt Leonardo da Vinci nichts anderes als ei- nenVorhofseptumdefekt. Die Ursachen der Herzfehler sind zum Teil genetische Assoziationen (8 % Trisomie der Gene 21, 18, 13), zum Teil sindesUmgebungseinflüsse(2%Drogen, Infektionen, Strahlen, mütterlicher Dia- betes),jedochzu90%bleibtdieUrsache unbekannt. Die häufigsten bekannten Assoziationensindz.B.atrioventrikulärer Septumdefekt(bis50%)beiTrisomie21 (Abb. 8) oder supravalvuläre Aortenste- nose (90 %) bei den Kindern mit Wil- liams-Beuren-Syndrom(Abb.9). Vom20.TagderSchwangerschaftbis zum 43. Tag in der Embryogenese ent- wickeltsichdasHerzauseinemSchlauch zu einer vierkammerigen Saug-Druck- pumpe.DazudiesemZeitpunktdiewer- dende Mutter manchmal noch nichts von ihrer Schwangerschaft weiß, sollten grundsätzlich negative Einflussfaktoren wie Stress, Alkohol-, Nikotin- und Dro- genkonsumvermiedenwerden. Mit acht auf 1.000 Lebendgeburten istderangeboreneHerzfehlerdiehäufigs- te Missbildung überhaupt und die häu- figste angeborene Erkrankung.Wenn je- des100.bis125.Neugeborenemiteinem Herzfehlerauf dieWeltkommt,bedeutet das circa 6.000 neue Herzfehler/Jahr in Deutschland. Jedoch erreichen dank der modernendiagnostischenundtherapeu- tischen Möglichkeiten 90 % der Kinder dasErwachsenenalter.Derzeitlebencirca 250.000 Patienten mit angeborenem HerzfehlerinDeutschland,unddieseZahl wirdweiteransteigen. Zahnärztliche Prophylaxe und Therapie Meist wissen die Eltern schon bei der Geburt oder sogar davor vom Herz- fehler ihres Kindes. Nachdem die Kin- derkardiologen mit den Eltern die zu erwartende(n) OP(s) oder Katheterin- tervention(en) besprochen haben, sollte der ärztliche Hinweis erfolgen, dass für ein erkranktes oder fehlgebildetes Herz kariöse Zähne und Gingivitis ein sehr großes Problem darstellen (Abb. 13): Endokarditisrisiko!KariesundGingivitis werden nicht vererbt, sondern sind ein demVerhalten entspringendes Problem. Eltern mit oralen Problemen müssen darauf aufmerksam gemacht werden, dass eine Sanierung ihrer Münder der späteren Mundgesundheit ihres Kindes zuträglichist.DieElternhabenmeistein halbes Jahr lang Zeit, um diese Maß- nahmenzubetreiben.DieSanierungvon kariösen Defekten und die Behandlung einer Parodontitis sind ein Aspekt der Prävention. Eine verbesserte Mundhy- giene und eine kohlenhydratreduzierte Ernährung sind die anderen Faktoren, die bedacht werden müssen. Je schlim- mer der Ausgangsbefund bei den Eltern ist,destowichtigeristdieNotwendigkeit, auchmitChlorhexidinzutherapieren.19 Was soll nun mit der Sanierung,der verbesserten Mundhygiene und der Ver- haltensänderunginBezugaufErnährung erreichtwerden? Der Infektionsdruck, der von Müt- tern, aber auch von Vätern, großen Ge- schwistern und allen Menschen ausgeht, dieeineninnigenKontaktzudemkleinen Menschen mit angeborenem Herzfehler haben, muss gesenkt werden. Wenn der kleine Patient mit 0,5 Jahren seine ersten Milchzähne bekommt, sollte die zahn- ärztlicheTherapiederElternabgeschlos- sen sein, denn nun könnten kariespa- thogeneBakterienimMundedesKindes siedeln(windowofinfectivity).20 Verhalten von betroffenen Eltern Die häufigen Krankenhausaufent- halte und das oftmals schwierige Ess- verhalten der Kinder führen dazu, dass ElternKompromisseeingehen.Siegeben denKindernzuvieleNahrungsmittelmit einem Überangebot an Kohlehydraten. AuchMundhygienemaßnahmenwerden bei den Kindern oftmals nicht konse- quentdurchgesetzt.DieElternhabendas Gefühl, ihrem vom Schicksal benach- teiligten Kind nicht die Strenge zeigen zu dürfen,dienotwendigwäre,umoralePrä- ventionineffizienterWeisezuinstallieren. BesondersbeiKindernmitsozialniederer Herkunft sind oftmals große zahnärztli- che Probleme zu verzeichnen. Meist ist hier eine Plastiksaugerflasche,gefüllt mit gesüßtem Tee,aber auch mitApfel- oder Orangensaft, die katastrophale Kraft, die zurVernichtungderMilchzähnebeiträgt (Abb.14).SanierungeninNarkose,meist vor korrigierenden Herz-OPs,sind lang- fristigwenigerfolgreich(Abb.15). Die eigentliche Ursache wird nicht behoben und schon bald ist wieder ein orales Problemfeld vorhanden.Auch der operative Erfolg des jeweiligen Herz- zentrumswirddurchdieproblematische oraleSituationmanchmalinfragegestellt. Die unterstützende Beratung durch den Kinderkardiologen kann hier nicht hoch genug eingeschätzt werden. Das Bestreben der Eltern und auch der be- handelnden Zahnärzte muss sein, durch PräventionjeglicheKariesundGingivitis beim betroffenen Kind zu verhindern (Abb.16). Zusammenfassung DieAktualisierungderLeitlinienzur Endokarditisprophylaxe der Deutschen GesellschaftfürpädiatrischeKardiologie und derAmerican HeartAssociation im Jahr 2007 sollte konsequent umgesetzt werden,indemalleHochrisikopatienten den neuen Herzpass erhalten.16–18 Der Schwerpunkt der Endokarditisprophy- laxesolltewegvonderSekundärprophy- laxe durch Antibiotika hin zur Primär- prophylaxedurchregelmäßigeundkon- sequente Therapie und Prophylaxe von KariesundGingivaerkrankungenverlegt werden. Nichtsdestotrotz muss jeder Patient mit einem Endokarditisrisiko durch seinen aktuellen Herzpass und durch gesicherten Kenntnisstand über die Notwendigkeit einer antibiotischen ProphylaxebeizahnärztlichenEingriffen informiertsein.IstdasnichtderFall,soll- ten Kardiologe und Zahnarzt sichüberdasRisikodesjeweili- genPatientenverständigen. Ersterscheinung:ZWPZahnarztWirtschaftPraxis 6/11 DT ➟ Eine Dosierungsempfehlung für ein mög- liches Amoxicillinpräparat können Sie sich auf www.zwp-online.info/publikationen in der E-Paper-Version herunterladen. Zahnmedizinische Eingriffe, die bei Risikopa- tienteneinerpräoperativenAntibiosebedürfen Extraktion Intraligamentäre Anästhesie/Analgesie Zahnsteinentfernung Professionelle Mundhygiene Approximale Füllung mit Matrize Wurzelkanalbehandlung (Kofferdam) SubgingivalesSetzeneineskieferorthopädischen Bandes Tabelle 4 Empfohlene Prophylaxe vor zahnärztlichen Eingriffen (a) Antibiotische Prophylaxe Antibiotikum Einzeldosis30bis60Min.vordemEingriff Erwachsene Kinder Orale Einnahme Amoxicillin (b) 2 g p.o. 50 mg/kg p.o. Orale Einnahme nicht möglich Ampicillin (b, c) 2 g i.v. 50 mg/kg i.v. Penicillin- oder Ampicillinallergie Clindamycin (d, e) 600 mg p.o. 20 mg/kg p.o. – orale Einnahme Penicillin- oder Ampicillinallergie Clindamycin (e) 600 mg i.v. 20 mg/kg i.v. – orale Einnahme nicht möglich a. Zu Besonderheiten der Prophylaxe vor Eingriffen am Respirations-, Gastrointestinal- oder Urogenitaltrakt sowie an infizierten Haut- und Hautanhangsgebilden und am muskuloskelettalen System. b. Penicillin G oder V kann weiterhin als Alternative verwendet werden. c. Alternativ Cefazolin, Ceftriaxon 1 g i.v. für Erwachsene bzw. 50 mg/kg i.v. bei Kindern. d. Alternativ Cefalexin: 2 g p.o. für Erwachsene bzw. 50 mg/kg p.o. bei Kindern oder Clarithromycin 500 mg p.o. für Erwachsene bzw. 15 mg/kg p.o. bei Kindern. e. Cave: Cephalosporine sollten generell nicht appliziert werden bei Patienten mit vorangegangener Anaphylaxie, Angioödem oder Urtikaria nach Penicillin- oder Ampicillingabe. Tabelle 5 Abb.11:DiealtenHerzpässe(auf derlinkenSeite;warenaktuellindenJahren1997bis2007)undderneueHerzpass(auf derrechtenSeite)fürdieEndokarditisprophylaxe.BeimVorliegeneines alten blauen Herzpasses darf der Zahnarzt nicht automatisch auf die Endokarditisprophylaxe verzichten,sondern sollte das individuelle Risiko des Patienten mit dem behandelnden Kardiologen abklären! – Abb. 12: Patientin mit einem hohen Endokarditisrisiko in den Jahren vor 1997 vor einer zahnmedizinischen Behandlung. Zyanotische Zeichen, ähnlich denen von Abbildungen 10. AmrechtenArmsiehtmaneinenVerbandübereinemintravenösenZugang.LeiderhabendieKinderkardiologendemKindalsTrostfürerlittenePeineinenLutschergeschenkt.–Abb.13:Patient mit extremem Plaquebefall. Starke Gingivitis, offener Biss, späte Wechselgebissperiode. – Abb. 14: Patientin mit Plastiksaugerflasche. Auch verdünnter Apfel- oder Orangensaft sind kariespro- duzierend!–Abb.15aundb:FünfjährigesMigrantenkind.ZahnsanierunginITNvorderanstehendenHerz-OP.–Abb.16aundb:SechsjährigerPatient.KeineKariesundkeineGingivitisdurch professionellunterstützteProphylaxe,sosolltenmöglichstalleEndokarditisrisikopatientenaussehen! OADr.ChristianH.Finke Leiter desArbeitsbereiches Kinderzahnmedizin,Charité – Universitätsmedizin Berlin,CC3 AßmannshauserStr.4–6,14197Berlin christian.finke@charite.de www.charite.de/ch/kiz OADr.med.StanislavOvrutski Oberarzt in derAbteilung für angeborene Herzfehler/ Kinderkardiologie Deutsches Herzzentrum Berlin AugustenburgerPlatz1,13353Berlin ovroutski@dhzb.de,www.dhzb.de Kontakt Patienten veranlassen, den neuen Herzpass von seinem Kardiologen zu erbitten!11 12 13 15a 15b 16a 16b 14