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Dental Tribune Austrian Edition

Das Risiko,an einer Endokarditis zu er- kranken, ist in der Normalbevölkerung beiHerzgesundensehrgering(Tabelle1 und2).GrundsätzlichkannjederMensch an einer Endokarditis erkranken, und unbehandelt ist der Krankheitsverlauf meist tödlich. Eine erhöhte Gefahr be- steht jedoch bei Menschen mit ange- borenen oder erworbenen Herzfehlern, insbesondere nach Herzklappenersatz (Tabelle3).1–3 Bis zum Ende des ZweitenWeltkrie- gesspieltedieHerzchirurgiekeinebedeu- tende Rolle, weder in Deutschland noch weltweit.Allerdingswirddieersteerfolg- reicheNahteinerHerzwunde1896häufig als Beginn der Herzchirurgie bezeich- net. Die erste erfolgreiche Operation bei einem angeborenen Herzfehler war der operative Verschluss eines persistieren- den Ductus Botalli (R. E. Gross, Boston 1938) sowie eine Verbindung der rech- ten A. subclavia (Schlüsselbeinarterie) mitderrechtenPulmonalarteriezurHei- lung der „Blausucht“ durch einen soge- nannten „BT-Shunt“ (Blalock-Taussig) beieinemKindmitFallot’scherTetralogie (A.Blalock,H.B.Taussig,Baltimore1944). Mit der Entwicklung der Herz-Lungen- Maschine(J.H.Gibbon,1953)kameszur ÄraderOperationenamoffenenHerzen und der weiteren Entwicklung der mo- dernenHerzchirurgie.4–8 Dank der weltweiten Entwicklung von verschiedenen Therapiemethoden und hervorragenden Leistungen in den spezialisierten Herzzentren sind sowohl die gesamte Überlebensrate als auch die Lebensdauer und die Lebensqualität sol- cher Patienten signifikant angestiegen, insbesondere in den letzten drei Deka- den.Durch die Operationen am offenen Herzen (Abb. 1) sowie interventionelle Therapien mittels Herzkatheter (Abb. 2) sind solche Zentren in der Lage, selbst schwere Herzfehler zu korrigieren oder zumindest den Kreislauf zu stabilisieren. Dasführtdazu,dassfast90%derPatien- tenmitangeborenenHerzfehlerndasEr- wachsenenalter erreichen. Ein Teil dieser behandeltenPatientenhatabereinLeben lang ein erhöhtes Endokarditisrisiko zu tragen,das zu definieren ist eine derAuf- gabendesbehandelndenKardiologen. Endokarditis Die Endokarditis ist eine Entzün- dungderHerzinnenhaut(Endokard),die die Herzhöhlen und den herznahen An- teilderArterienundVenenauskleidetund auch die Struktur der Herzklappensegel bildet (Abb. 3 und 4). Die Prävalenz der infektiösen Endokarditis wird in derAll- gemeinbevölkerungmit11bis50Erkran- kungenpro1.000.000Einwohnerjährlich angegeben.9 Beimindestens40%derFälle ist dabei die Ursache der transitorischen Bakteriämie unbekannt. Die Inzidenz beträgt0,34auf1.000Patientenjahre;nur 10 % der Kinder haben keinen vorbe- stehenden Herzfehler und 40 % aller Endokarditiden betreffen Kinder nach Herz-OP. Jugendliche mit intravenösem Drogenmissbrauch sowie Kinder mit re- duzierter Immunkompetenz sind auch stark gefährdet,an einer Endokarditis zu erkranken. Bei allen Herzfehlern, bei denen der Blutstrom im Herzen nicht„normal“ ist, kann es durch Verwirbelungen des Blut- stromes an immer wieder den gleichen Stellen zu kleinsten Verletzungen der Herzinnenhaut (Endokard) oder der Gefäßinnenwand(Intima)kommen.Re- paraturprozesse durch Thrombozyten und Fibrin lassen weiße nicht infizierte endokarditische Thromben entstehen (Abb. 5).Diese Stellen sind dann anfällig für eine Entzündung, wenn (meistens) Bakterien,aber auch Pilze oderViren ins Blut kommen und an einem weißen Thrombusadhärieren.Kommteszueiner transitorischen Bakteriämie, dem mas- sivenEinstromvonBakterienindieBlut- bahn, kann aus einer thrombotischen EndokarditiseineinfektiöseEndokarditis werden.VondortausbeginnteineInfek- tion, die auf weitere Anteile der Herzin- nenhaut und eine oder mehrere Herz- klappenübergreift(Abb.3und4).1–3,10–12 Die häufigsten Erreger sind Strepto- coccus viridans (46 %), Staphylococcus aureus(15%)undgramnegativeErreger (12%).Bei5–25%gelingtderKeimnach- weis nicht. Der Verlauf einer solchen Infektion kann hochakut (bakterielle Endokarditis,verursacht meistens durch Staphylococcusaureus,Streptococcusoder Enterococcus) sein oder subakut (Endo- karditis lenta, verursacht meist durch Streptococcusviridans[S.sanguis,S.bovis, S. mutans, S. mitis]). Im Rahmen dieser Entzündungsreaktion können sich Teile des thrombotischen Materials lösen und durchEmbolisationinanderenOrganen (Gehirn, Lunge, Netzhaut, Niere, Milz, Haut, Extremitäten u.a.) zu schweren Komplikationenführen.Wenneineakute septische Erkrankung überstanden ist, kommtesimweiterenVerlaufmeistauch zu Destruktionen bis zur vollständigen Zerstörung von Herzklappen mit einer Funktionseinschränkung oder gar kom- plettem Funktionsverlust. Daraus re- sultiert eine schwere Herz- und Kreis- laufinsuffizienz, was wiederum ohne dringlichen speziellen und in der Regel herzchirurgischenEingriffnichtüberlebt werden kann. Die chirurgischen Thera- pienbedeutenmeistenseinenKlappener- satzmiteinerentwederbiologischenoder mechanischen Prothese und allen dazu- gehörigen Problemen (erhöhtes Endo- karditisrisiko,Re-Operation,Antikoagu- lation) (Abb. 6 und 7). Eine Bakteriämie kann durch Zahnärzte in vielfältiger Weise und mit hoher Bakterienzahl aus- gelöst werden (Tabelle 4). Die Gabe von geeigneten Antibiotika – zum richtigen Zeitpunkt–verhindertdieAdhärenzvon BakterienamabakteriellenThrombus.13 Zahnärztliche Anamnese und Endokarditisrisiko PatientenmiteinemerhöhtenEndo- karditisrisikoinderzahnärztlichenPraxis zu identifizieren ist eine wichtige Aufga- be, die mit einer guten Anamnese gelöst werden könnte. Aber es gibt Umstände, die diese Möglichkeit erschweren.Endo- karditisrisikopatientenhabenheutzutage kein stigmatisierendes Aussehen mehr (Abb. 8, 9 und 10). Die klassischen Zei- chen eines zyanotischenVitiums: zyano- tische Lippen, Uhrglasnägel und Trom- melschlägelfinger sind Raritäten gewor- den.Zahnärzte,diePatientenmitangebo- renen Herzfehlern sofort an die nächste Universitätsklinik überweisen, provozie- ren bei betroffenen Patienten manchmal denWunsch,ihr Leiden zu verschweigen undesinderAnamnesezuunterschlagen. Endokarditisprophylaxe: Was hat sich geändert? Patienten mit einem erhöhten Endokarditisrisiko in der zahnärztlichen Praxis zu identifizieren, ist eine wichtige Aufgabe. Die Indikation für eine Endokarditisprophylaxe wurde gegenüber früheren Empfehlungen jedoch deutlich eingeschränkt. Ein Beitrag von OA Dr. med. dent. Christian H. Finke und OA Dr. med. Stanislav Ovrutski, Berlin. Endokarditisrisiko Lebenszeitrisikopro 100.000 Patientenjahre Angeborene Vitien 145–271 Rheumatische Vitien 380–440 Klappenprothesen 308–383 Klappenersatz nach Endokarditis 630 Klappenersatz nach Klappenprothesenendokarditis 2.160 Tabelle 1 Absolutes Risiko Normalbevölkerung 1 : 14.000.000 Angeborene Vitien 1 : 475.000 Klappenprothesen 1 : 114.000 Überstandene Endokarditis 1 : 95.000 Tabelle 2 Patienten mit der höchsten Wahrscheinlichkeit eines schweren oder letalen Verlaufs einer infektiösen Endokarditis – Patienten mit Klappenersatz (mechanische, biologische Prothesen) – Patienten mit rekonstruierten Klappen unter Verwendung von alloprothetischem Material in den ersten sechs Monaten nach Operation (a, b) – Patienten mit überstandener Endokarditis – Patienten mit angeborenen Herzfehlern • Zyanotische Herzfehler, die nicht oder nur palliativ mit systemisch-pulmonalem Shunt operiert sind • Operierte Herzfehler mit Implantation von Conduits (mit oder ohne Klappe) oder residuellen Defekten, d.h. turbulenter Blutströmung im Bereich des prothetischen Materials • Alle operativ oder interventionell unter Verwendung von prothetischem Material behandelten Herzfehler in den ersten sechs Monaten nach Operation (b) – Herztransplantierte Patienten, die eine kardiale Valvulopathie entwickeln a. In diesem Punkt unterscheidet sich das vorliegende Positionspapier von den AHA-Leitlinien. b. Nach sechs Monaten wird eine suffiziente Endothelialisierung der Prothesen angenommen. Tabelle 3 1 Abb.1:OperationamoffenenHerzenunterVerwendungeinerHerz-Lungen-Maschine.VerschlusseinesVentrikelseptumdefektsunterVerwendungvoneinemKunstmaterial(Goretex®).–Abb.2:EntfalteneinesAmplatzerSeptalOkkluders(ASO).Dieses ModellwirdfürdeninterventionellenVerschlusseinesVorhofseptumdefektsverwendet.–Abb.3aundb:AkuteMitralklappenendokarditis.IntraoperativeAufnahmeamoffenenHerzen(a),einevölligzerstörteMitralklappeunddiebereitsexplantierteMit- ralklappe(b).DieKlappenstrukturensindmassivverdicktundkaumerkennbar(b).EntzündlicheVeränderungenmiteinerschwerenblasigenDegenerationundeinemkomplettenFunktionsverlust(b).–Abb.4:ZustandnachabgelaufenerAortenklappen- endokarditis.Perioperative Aufnahme einer komplett zerstörten Aortenklappe.Die Klappenstrukturen sind nicht mehr erkennbar bei einem kompletten Funktionsverlust.– Abb.5: Pathogenese einer infektiösen Endokarditis.Aus derVorstufe der sterilen thrombotischenEndokarditiskannsichbeientsprechenderBakteriämiediebakterielleEndokarditisentwickeln.AlsKomplikationkönnensichTeilederentzündlichenendokarditischen„Vegetationen“ablösenundinandereGefäßabschnitteembolisieren. –Abb.6:MechanischeProthese.SieversprichteinelangfristigestabileKlappenfunktionohneNotwendigkeitvonRe-Operationen,istjedochmeistensnichtimSäuglings-bzw.Kleinkindaltereinsetzbar.DiemechanischeProthesebesitzteinerhöhtesthrom- botischesPotenzial.DaheristeineDauerantikoagulationmitMarkumaroderWarfarinmitINR2,5–3,5jenachKlappenpositionerforderlich.–Abb.7aundb:Biologischestentlose(a)oder stentunterstützteProthese(b).HergestelltwerdendieProthesenaus verschiedenen biologischen Materialien (Rindervenen [a] bzw.Schweine- oder Rinderperikard [b]).Keine Dauerantikoagulation mit Marcumar notwendig. Eine Re-Operation ist meistens unvermeidbar. Biologische Prothesen sind auch bei Säuglingen undKleinkindernanwendbar.–Abb.8:PatientmitTrisomie21.Biszu50%dieserPatientenhabeneinenangeborenenHerzfehler.–Abb.9a–c:SechsjährigePatientinmitWilliams-Beuren-SyndromundeinemkatastrophalenMundbefund.–Abb.10a–c: SymptomeeineszyanotischenHerzfehlers.a)bläulicheLippen/blassesHautkolorit,b)undc)TrommelschlegelfingerundUhrglasnägel;HochrisikofüreineEndokarditis. 2a 2b 2c 2d 2e 2f 3a 3b 4 5 6 7a 7b 8 9a 9b 9c 10a 10b 10c International Science DENTALTRIBUNE Austrian Edition · Nr. 4/2012 · 4. April 20126 ➟