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Dental Tribune Austrian Edition

Wünsche auch zu erfüllen. Auf der anderen Seite gibt es vermehrt kör- perlich und geistig erkrankte Men- schen, die häufig in Heimen leben und die ganz andere Bedürfnisse ha- ben. Sie können sich oft nur mangel- haft infolge ihres insuffizienten Zahnersatzes ernähren. Zusätzliche Probleme bestehen durch ihr redu- ziertes Adaptationsvermögen, ihre verminderte manuelle Geschicklich- keit, die eine adäquate Pflege der Zähne und des Zahnersatzes er- schweren, verschiedene allgemein- medizinische und psychische Er- krankungen, die zahlreich therapiert werden und die meist fehlende regel- mäßige Nachsorge (Grunert 2005). Das Anforderungsspektrum an die Zahnmedizin bei derVersorgung des älteren Patienten ist also ganz unter- schiedlich, je nach dem körperlichen und geistigen Befinden sowie den Wünschen und Bedürfnissen des je- weiligen Individuums. Bei der zahnärztlichen Be- handlung älterer Menschen müssen verschiedene Faktoren wie eine verminderte Adaptationskapazität, verminderte Belastbarkeit, vermin- derte manuelle Geschicklichkeit sowie reduzierte Speichelsekretion beachtet werden. Besonders die Schwerhörigkeit wird in ihren mög- lichen Auswirkungen unterschätzt. Welcher Behandler nimmt schon darauf Rücksicht, mit dem älte- ren Menschen ohne Mundschutz langsam, laut und deutlich zu spre- chen? Viele ältere Menschen trauen sich nicht nachzufragen, wenn sie etwas nicht verstanden haben, und dies wird dann oft als man- gelhafte Compliance des Patienten gesehen. Zahnersatzplanung beim älteren Patienten Bei jeder prothetischen Versor- gungwirdversucht,sowohldieFunk- tion als auch die Ästhetik möglichst optimal zu gestalten. Dies kann so- wohl mit festsitzenden als auch abnehmbaren Zahnersatz erreicht werden. Oberstes Ziel in der Gero- Prothetik sollte die lebenslange Si- cherung des oralen Komforts mit an- gemessenen Behandlungsmaßnah- men sein. Um gesunde parodontale oder periimplantäre Verhältnisse zu gewährleisten, ist nach entsprechen- derVorbehandlungdieKonstruktion des Zahnersatzes so zu wählen, dass der Patient oder das Pflegepersonal mit der Pflege der Zähne bzw. des Zahnersatzes nicht überfordert sind. Insbesondere können komplexe fest- sitzende implantatgestützte Versor- gungen, die bei jüngeren Patienten eingesetzt wurden, im höheren Le- bensalter aus hygienischen Gründen zu einem großen Problem werden. Wichtig ist auch, dass schon bei derPlanungdesZahnersatzesdiema- nuelleGeschicklichkeitdesPatienten berücksichtigt wird, z.B. bei Riegel- konstruktionen. Man muss ebenso bedenken, dass die Geschicklichkeit mit zunehmendem Alter abnimmt. Die Konstruktion sollte so gewählt werden, dass später auch ein nicht speziell geschultes Pflegepersonal mit der Handhabung des Zahnersat- zes zurechtkommen kann.Weiterhin sollte prospektiv geplant werden. Falls ein Pfeilerzahn im Laufe der Jahre nicht mehr zu erhalten wäre, sollte ein Umbau der Versorgung ohne größeren Aufwand möglich sein. Prothetische Maßnahmen beim älteren Patienten Die prothetischen Maßnahmen beim älteren Patienten zeigen sämtli- che Möglichkeiten der festsitzenden wie auch abnehmbaren Prothetik, wobei der Ersatz fehlender Zähne durch Implantate auch in der Gero- Prothetik immer wichtiger wird, einerseits um herausnehmbaren Zahnersatz zu vermeiden und ande- rerseits um herausnehmbaren Zahn- ersatz sicher verankern zu können. Allgemein gilt, je jünger der Pa- tient ist und je mehr gesunde Pfeiler- zähne vorhanden sind, umso eher wird ein festsitzender Zahnersatz an- gestrebt(Abb.1aund1b).Aufderan- deren Seite entschließt man sich um so eher für einen herausnehmbaren Zahnersatz, je mehr Zähne bereits fehlenundjestärkerihrparodontaler Abbau ist, der eine festsitzende Ver- sorgung zu riskant erscheinen lässt. MithilfevonImplantatenalszusätzli- che Pfeiler kann aber auch ein stark reduziertes Lückengebiss festsitzend versorgt werden. Die Entscheidung, ob eine festsitzende Versorgung machbar ist oder nicht, wird daher auch vermehrt von den zu er- wartenden Kosten, aber auch vom Alter des Patienten beeinflusst. Implantatgestützte Versorgung beim älteren Patienten Implantate haben sich seit Jahr- zehnten bei der Behandlung älterer PatientenbewährtundvielenPatien- ten kann mit einem implantatge- stütztenZahnersatzneueLebensqua- lität gegeben werden. Neben den zahnlosen Patienten, die konventio- nell nicht zufriedenstellend versorgt werden können, werden Implantate auch vermehrt an strategisch wichti- gen Positionen platziert,um die Pro- gnosedesZahnersatzeszuverbessern (Spiekermann 1994). Außerdem wünschen sich viele Patienten eine implantatgestützte Brückenversor- gungstattherausnehmbarenTeilpro- thesen. Es gibt zur Versorgung des zahn- losen Unterkiefers mit Implantaten verschiedene Konzepte für den älte- ren Patienten, vom einfachen Kugel- kopfattachment oder Locator, über diverse Stegkonstruktionen (Abb. 2c und 2d) bis hin zum festsitzenden Zahnersatz. Neben finanziellen Überlegungen sollte aber immer auch die Möglichkeit der Reinigung des implantatgestützten Zahnersat- zes bedacht werden.Daher ist imAll- gemeinen beim älteren Patienten der VersorgungmitHybridprothesender Vorzug zu geben. Herausnehmbarer Zahnersatz Ist ein festsitzender Zahnersatz wegen reduzierter Pfeilerzahl nicht mehr machbar, gibt es unterschied- liche Möglichkeiten der konventio- nellen prothetischen Versorgung auch ohne zusätzliche Implantat- pfeiler(Marxkors2007),vonderein- fachen Modellgussprothese (Abb. 2a und2b),überGeschiebeverankerun- gen bis zur klammerlosen Veranke- rungmithilfederbewährtenDoppel- kronentechnik. Hier gilt allgemein, dass die Pro- gnosedesherausnehmbarenZahner- satzes umso besser wird, je einfacher die Konstruktion gestaltet ist und je leichter sich die verbliebenen Zähne pflegen lassen.Derart konstruiert,ist die Überlebensrate von einfachen Modellgussprothesen mit 50 Prozent nach zehn Jahren nicht so schlecht (Kerschbaum 2003) und durchaus vergleichbar mit „hochwertigeren“ Lösungen. In den letzten Jahren hat sich die Doppelkronentechnik mit Galvanosekundärteilen(Weigl1994) alseinesehrguteprothetischeVersor- gungsart sowohl auf natürlichen Pfeilern als auch auf Implantaten so- wie auch in gemischten Formen be- währt.DurchVerklebung der Sekun- därteile mit dem Tertiärgerüst im Mund des Patienten, nach dem defi- nitiven Einsetzen der Primärkronen, bekommt man einerseits einen idea- len Halt der Prothese, gewährleistet durch die hohe Präzision zwischen der Primärkrone und dem Galvano- sekundärteil. Andererseits ist die Handhabung für den Patienten sehr einfach,dadieRetentiondurchadhä- sive Kräfte und nicht durch Friktion zustande kommt (Abb.3a–c). Neben den Möglichkeiten, die implantatverankerte Hybridprothe- senbieten(GrunertundNorer2001), sollte man speziell bei älteren, nicht mehrgesundenPatientenaufdieVer- ankerungsmöglichkeit des heraus- nehmbaren Zahnersatzes auf Wur- zelkappen nicht vergessen. Mit unterschiedlich gestalteten Reten- tionselementen kann mit einfachen prothetischen Maßnahmen der Pro- thesenhalt verbessert und die Adap- tation an den Zahnersatz erleichtert werden, auch wenn sich die Rest- zähnenichtanidealenPositionenbe- finden (Abb. 4a–c). Man sollte daher nicht vorschnell verbliebene Rest- zähne, insbesondere im Unterkiefer, extrahieren. Durch das Reduzieren der Zähne auf Gingivaniveau bessert sich das Kronen-Wurzel-Verhältnis derart, dass auch Zähne mit parodontalen Abbau in vielen Fällen sinnvoll ver- sorgbar sind.Falls keine zusätzlichen Pfeiler (natürliche oder Implantate) vorhanden sind, stellt die Totalpro- thetik die letzte prothetische Maß- nahme dar, um all das, was verloren gegangenist,nämlichZähnemitsamt dem Alveolarfortsatz, zu ersetzen (Abb.5).Je mehr Knochen bereits re- sorbiert ist,umso wichtiger ist es,die Zähne in das muskuläre Gleichge- wicht, in die neutrale Zone zwischen der Wangenmuskulatur einerseits und der Zunge andererseits zu po- sitionieren (Grunert und Crepaz 2003). Besonders wichtig ist es auch, da die Menschen ja immer älter werden, den bestehenden Alveolarfortsatz weitestgehend vor weiteren starken Resorptionen durch eine exakte Ok- klusionundArtikulationsowieregel- mäßige Nachsorge zu schützen. Generell muss man sagen, dass die konventionelle Totalprothetik zunehmend schwieriger und an- spruchsvoller wird. Die Menschen verlieren meist erst im höheren Le- bensalter vollständig ihre Zähne und werden das erste Mal in einem Alter mit bereits verminderter Adapta- tionskapazität mit herausnehmba- ren Zahnersatz konfrontiert. Zusätz- lich besteht oft ein starker Schwund der Alveolarfortsätze, einerseits da dieZähneimAltermeistdurchstarke parodontale Erkrankungen verloren gehen und andererseits kommt es durch insuffiziente Teilprothesen zu einer zunehmenden Zerstörung desProthesenlagers,wasnachVerlust derAnkerzähneeinenausreichenden Prothesenhalt erschwert. Nur mit großer Geduld und prothetischem KönnendesBehandlerskönnenauch schwierigste Situationen mit einem funktionierenden Zahnersatz ver- sorgt werden. Doch nicht immer müssen neue Totalprothesen angefertigt werden. Wenn der Totalprothesenpatient schon sehr alt ist und die schon lange getragenen Prothesen einer funk- tionellen Verbesserung bedürfen, ist es oft besser, die vorhandenen Pro- thesen zu unterfüttern und die Ok- klusion durch Remontage zu ver- bessern, als neuen Zahnersatz her- zustellen, an den sich der Patient gar nicht mehr gewöhnen kann. Leider geht das Wissen und Können und auch das Interesse an der Totalpro- thetikzunehmendverloren(Grunert 2010). Für mich sehr erstaunlich ist, dass die konventionelle Totalpro- thetik in einem sonst sehr guten neuen Lehrbuch über Gero-Stoma- tologie (Müller und Nitschke 2010) nicht einmal als Fußnote erwähnt wird. Schlussfolgerungen Die Menschen werden immer älter,undtrotzbessererZahnprophy- laxe bleibt insgesamt der Zahnver- lust fast gleich, auch wenn der Zahn- verlust für das jeweilige Individuum erst im höheren Lebensalter erfolgt, womit für die Zukunft sogar ein hö- herer Prothetikbedarf erwartet wird (Kerschbaum 2003). Damit wird die Gero-Prothetik in der Zukunft eines der wichtigsten Arbeitsbereiche in der zahnärztlichen Praxis, was aber vielen Kollegen noch nicht bewusst ist.Esgibtsehrvieleunterschiedliche Therapiemöglichkeiten beim älteren Patienten, von festsitzend bis zu den unterschiedlichen Arten des ab- nehmbaren Zahnersatzes. Das Be- handlungsziel sollte immer die indi- viduell beste Versorgung beim je- weiligen Patienten sein, welche die bestehenden Wünsche und Vorstellungen berücksichti- gen muss. Erstveröffentlichung: ZWP 9/10 LT State of the Art LABTRIBUNE Austrian Edition · Nr. 3/2012 · 7. März 201218 Á Fortsetzung von Seite 17 Univ.-Prof.Dr.Dr.IngridGrunert MedizinischeUniversitätInnsbruck Department Zahn-,Mund- und Kieferheilkunde und Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie MedizinzentrumAnichstraße 35 6020 Innsbruck Ingrid.Grunert@i-med.ac.at Kontakt Einteilung der Patienten der Gero-Prothetik entsprechend ihrenWünschenundBedürfnissen (Grunert 2006): • Der gesunde, anspruchsvolle Patient, bei dem die Ästhetik des Zahnersatzes sehr wichtig ist. Für diese Patienten ist es auch wichtig, dass sie, wenn möglich, festsitzend versorgt werden. Die Kosten des Zahnersatzes spielen meist keine ent- scheidende Rolle. • Der gesunde ältere Patient, bei dem die Verbesserung der Funktion im Vorder- grund steht. • Der ältere Patient mit geringeren finan- ziellen Möglichkeiten. • Der Risikopatient aus allgemeinmedizi- nischer Sicht. • Derpsychischerkrankteund/oderdepres- sive ältere Patient. • Der pflegebedürftige Patient. 4c 5 4b 3c3a 3b Abb. 3a: Aus ästhetischer und funktioneller Sicht insuffiziente Ausgangssituation bei einer 65-jährigen Patientin. – Abb. 3b: Versorgung im Unterkiefer mittels Doppel- kronentechnologie.–Abb.3c:PatientinamBehandlungsende.–Abb.4a:Starkreduzier- tes Lückengebiss eines 85-jährigen Patienten. – Abb. 4b: Die vorhandenen Zähne im Unterkieferwerdenneuversorgt.–Abb.4c:ZustandamBehandlungsende.–Abb.5:Auch die konventionelle Totalprothetik ist nach wie vor beim älteren Menschen eine häufige Versorgungsart. 4a